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Viel haben macht nicht reich.  Der ist ein reicher Mann, der alles was er hat, ohne Leid verlieren kann.

  Bedeutende Schlesier

Wer immer fröhlich ist auf Erden wird 99 Jahre werden und wer durchs Leben geht mit Schwung der ist mit 100 Jahr'n noch jung.

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Ernst v. Seydlitz      

* 29.4.1784 in Kurzbach,

16.5.1859

Geographie-Lehrer

   
 

Vor 175 Jahren erschien in Kommission bei J. F. Korn in Breslau der Leitfaden der Geographie; bescheiden, ohne Nennung des Namens, verfaßt von dem Direktor der Erziehungsanstalten im schlesischen Gnadenfrei, Kreis Reichenbach (Eulengebirge), Ernst von Seydlitz. Dieses “Elementar-Buch für den Schul-Unterricht” war zunächst für den Gebrauch an den Schulen der Herrnhuther Brüdergemeine bestimmt. Die Qualität des Lehrbuchs sollte jedoch sehr bald den engen Kreis seiner ursprünglichen Bestimmung sprengen. Das geschah vor allem, als 1842 mit der 3. Auflage der 1832 in Breslau gegründete Verlag Ferdinand Hirt die Herausgabe des Werkes übernahm. Jetzt erschien in unaufhörlicher Folge eine Auflage nach der anderen. Mit der 21. Bearbeitung 1892 waren bereits über eine Million Exemplare verkauft worden. Der “Seydlitz” hatte seine unangefochtene Stellung als Standard-Lehrbuch der Geographie behauptet. Schon 1864 erfolgte eine holländische Übersetzung, die ebenfalls mehrere Auflagen erreichte. Mit einigen Zusätzen und Abänderungen versehen, erschien 1882 eine italienische Übersetzung.

Hinter diesen Verlagserfolgen geriet die Person, die dem Lehrbuch seinen Namen gegeben hatte, fast in Vergessenheit. Wer war der Initiator dieses Unterrichtsmittels, das über Generationen den Geographieunterricht bestimmte? Welche Umstände, welche Anregungen und Ideen trugen zur Entstehung dieses Werkes bei?

Ernst Friedrich August von Seydlitz wurde auf dem Besitz des der Familie befreundeten Barons Hans Ernst von Kottwitz (1757-1843) in Tschöplau, Kreis Freystadt geboren, Sohn des preußischen Majors Balthasar Florian von Seydlitz auf Stoppen und Wikoline, Kreis Guhrau, und der Dorothea Gottliebe von Luck. Die Eltern zählten zum Freundeskreis der Herrnhuter Brüdergemeine. Nach dem frühen Tod des Vaters 1796 übernahm der in der Restaurationszeit so einflußreiche “Patriarch” der Berliner Erweckungsbewegung und Sozialreformer Ernst von Kottwitz die Vormundschaft, wie in späteren Jahren für den verwaisten Sohn des Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762-1814). Er veranlaßte die Übersiedlung der Mutter in die Brüdergemeine Gnadenfrei und die Unterbringung des Sohnes in der Knabenanstalt der Herrnhuter in Kleinwelka bei Bautzen. Mit dieser Entscheidung wurde nicht nur der künftige Lebensweg vorgezeichnet, sondern fast notwendig auch das geographische Interesse des Jungen geweckt, da diese Siedlung in besonderer Weise mit der Mission verbunden war. Davon zeugt noch heute der Gottesacker, auf dem zahlreiche Missionare ihre letzte Ruhestätte fanden. Doch nicht nur die große Zahl von Missionaren, die hier ihren Ruhestand verbrachten, drückten dem Ort seinen Stempel auf. Vor allem waren es die Mädchen- und Knaben-Internatsschulen, in denen seit 1790 zunehmend die Kinder der Missionare Aufnahme fanden. Hier trafen sich Jungen und Mädchen aus Labrador und Grönland, aus Surinam, Nikaragua, Westindien und Afrika. Viele von ihnen kamen mit der ihnen geläufigen Eingeborenensprache oder Englisch nach Kleinwelka. Ein Zug der Weltweite prägte die Bewohner dieses kleinen Ortes.

Dieser kosmopolitische Geist begegnete dem begabten Schüler auch in dem Pädagogium zu Barby an der Elbe, in das er ein Jahr später aufgenommen wurde, und in dem theologischen Seminar in Niesky/Lausitz, das er von 1801 bis 1804 besuchte. In beiden “Unitäts-Anstalten”, in denen vornehmlich die künftigen “Gemeindediener”, d. h. die im hauptamtlichen Dienst stehenden Funktionsträger, ausgebildet wurden, war die internationale Zusammensetzung der Schülerschaft stark ausgeprägt. Klösterlicher und Hallischer Tradition folgend, wurde während der Mahlzeiten vorgelesen. Nicht nur Literatur herrnhutischer Provenienz namentlich Missionsberichte, sondern auch “weltliche” Werke, beispielsweise Cooks Reisen, fanden dabei Berücksichtigung. Das regte nicht nur die Phantasie der Schüler an, sondern weitete auch den Blick auf fremde Länder und Lebensweisen. Am deutlichsten trat das wohl bei Hermann Ludwig Heinrich Fürst von Pückler-Muskau (1785-1871), einem der bedeutendsten Reiseschriftsteller seiner Zeit und Maßstäbe setzenden Landschafts- und Gartenkünstler (Park Muskau, Schloß Branitz), hervor, der von 1792 bis 1796 das brüderische Erziehungsinstitut Uhyst bei Bautzen besuchte. Es spricht für das hohe Niveau der naturwissenschaftlichen Ausbildung in den “Unitäts-Anstalten” um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, daß Jakob Friedrich Fries (1773-1843), der Studienkollege von Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher (1768-1834) in Barby und Niesky, nach der Suspension vom philosophischen Lehrstuhl in Jena wegen seiner Teilnahme am Wartburgfest für ein Jahr eine Professur für Physik und Mathematik ausüben konnte. Auch Ernst von Seydlitz besaß nach Abschluß seiner Studien alle nur denkbaren Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tätigkeit als Pädagoge und Geograph.

Seine erste Anstellung fand Seydlitz 1804 an der vor allem von englischen Schülern besuchten Knabenanstalt in der Brüdergemeine Neuwied/Rhein. 1813 wurde er als erster Lehrer an die Anstalt im reußisch-thüringischen Ebersdorf berufen. Seit 1815 wirkte er als Mitinspektor an den Anstalten im oberschlesischen Gnadenfeld, Kreis Cosel. Im selben Jahr wurde ihm aus der Brüdergemeine Neusalz/Oder Henriette Emilie Antoinette de la Palme du Pré als Lebensgefährtin zugeführt. 1819 erfolgte die Berufung zum Inspektor der Gnadenfreier Erziehungsanstalten; eine Stellung, die durchaus seinen Gaben und Fähigkeiten entsprach und die ihm die Erfüllung seiner Berufspläne zu verheißen schien. Mit jugendlichem Enthusiasmus reformierte er das gesamte Schulwesen durch Verbesserung des Unterrichts, Beschaffung zweckmäßiger Schulbücher und anderer Lehrmittel sowie durch die Einführung einer neuen Schulordnung. Mit unermüdlicher Energie sorgte er für eine bessere räumliche Ausstattung der Mädchenanstalt. Zur Belebung des naturkundlichen und geographischen Unterrichts unternahm er mit seinen Zöglingen häufig Ausflüge und Wanderungen in die nähere und weitere Umgebung von Gnadenfrei.

Bei all diesen Aktivitäten wird deutlich, in wie starkem Maße von Seydlitz sich bemühte, Anregungen der Philanthropen ins brüderische Erziehungswesen zu integrieren. Zu Johannes Bernhard Basedow (1723-1790) und vor allem zu dem 1784 gegründeten Philanthropinum des Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811) in Schnepfenthal bei Gotha bestanden vielfältige Beziehungen. Die frühe Übernahme des von Johann Christoph Friedrich Guts Muths (1759-1839) initiierten Turnunterrichts in den Schulen der Brüdergmeine legt davon Zeugnis ab; aber auch die Tatsache, daß von Seydlitz seinem Leitfaden den Kurzen Abriß der Erdbeschreibung des Schnepfenthalers Guts Muths (Lehrer von Carl Ritter [1779-1859], dem ersten Lehrstuhlinhaber für Geographie in Deutschland; Berlin 1820) zu Grunde legte. In dem ihm untergebenen Lehrer der Knabenanstalt, Heinrich Krümmer (* 1796) fand der Gnadenfreier Direktor einen tatkräftigen Förderer bei der Erstellung geeigneter Lehrmittel. Krümmers Landkarten fanden noch vor dem Seydlitz’schen Leitfaden Anerkennung und weite Verbreitung.

Daß ein so “revolutionärer Neuerer” wie Seydlitz in einer so stark von der Tradition geprägten Gemeinschaft nicht ungeteilte Zustimmung erfuhr, versteht sich von selbst. Ein unüberbrückbarer Gegensatz bestand zu der “Ersten Aufseherin” der Mädchenanstalt. Unklare Kompetenzabgrenzung und mangelnder Mut zu eindeutigen Entscheidungen seitens der Behörde in Herrnhut führten zu einem Dauerkonflikt, den man in der Weise löste, daß von Seydlitz 1832 gezwungen wurde, um seinen Abschied nachzusuchen. Das Ausscheiden aus einer 28jährigen Tätigkeit im Dienste der Brüdergemeine erfolgte in einer beschämenden und würdelosen Weise. Daß 1924 schließlich die Gnadenfreier Mädchen-Internatsschule den Namen ihres verschmähten und in die Wüste geschickten ehemaligen Direktors erhielt, war ein wenn auch sehr spätes und längst überfälliges Zeichen der Rehabilitation. Nach einigen mißglückten landwirtschaftlichen Unternehmungen war der aus seiner Lebensbahn geworfene begabte Pädagoge 65jährig im heimatlichen Schlesien gestorben.

Lit.: Hirt/Oehlmann: Zur Geschichte des Seydlitz, Breslau 1895. – Otfried Schwarzer/Guntram Philipp: Die enge und die weite Welt. Zum 150. Todestag des Pädagogen und Geographen Ernst von Seydlitz (1784-1849) und zur 175. Wiederkehr der 1. Auflage seines “Leitfadens der Geographie”, in: Unitas Fratrum, Zeitschrift für Geschichte und Gegenwartsfragen der Brüdergemeine. In Vorbereitung.

                                                                                                                                         Guntram Philipp

  Quelle; "Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen "