Edith Jacobson (geb. Jacobssohn, * 10. September 1897 in Haynau; † 8. Dezember 1978 in Rochester (New York)) war eine deutsche Ärztin und Psychoanalytikerin, die wegen Unterstützung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus 1935 verhaftet wurde, 1938 aber fliehen konnte.

 Von 1954 bis 1956 war sie Vorsitzende der New York Psychoanalytic Society. Heute gilt sie als führende Theoretikerin und Klinikerin der nachfreudianischen amerikanischen Psychoanalyse[1] und als „eine der wichtigsten Vertreterinnen der Theorie der Objektbeziehungen und der Ich-Psychologie[2].

Edith Jacobssohn entstammte einer jüdischen Ärztefamilie, ihr Vater Jacques Jacobssohn war Arzt, ihre Mutter Pelagia, geb. Pulvermann, war Musikerin. Sie studierte Medizin in Jena, Heidelberg (wo sie 1919/1920 an Übungen über Freuds Psychoanalyse von Hans W. Gruhle teilnahm und bei Viktor von Weizsäcker an einem Kurs über die Grundprobleme der Naturphilosophie) und München, wo sie 1922 ihr Staatsexamen machte. Einen Teil ihres Praktischen Jahres absolvierte sie danach an der Kinderklinik der Universitätsklinik Heidelberg, wo sie 1923 s.c.l. promovierte, den Rest an der Inneren Klinik des Universitätsklinikums in München. Hier lernte sie den Psychosomatiker Gustav Richard Heyer kennen, bei dem sie nicht nur das Verfahren der Hypnose erlernte, sondern sich auch immer mehr mit der Psychoanalyse vertraut machte. 1925 ging sie deswegen nach Berlin, wo sie an der Privatklinik von Hermann Oppenheim tätig wurde und sogleich ihre analytische Ausbildung begann, zunächst bei Arthur Kronfeld am Institut für Sexualwissenschaft (der sie ab 1928 durch Überweisung vornehmlich von begüterten Patientinnen auch beim Aufbau ihrer Praxis unterstützte) ab 1926 am Berliner Psychoanalytischen Institut, wo sie vier Jahre lang bei Otto Fenichel in Lehranalyse ging. 1930 wurde sie deswegen zum ao. Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft gewählt (Wahl am 18. Januar 1930 nach ihrem Aufnahmevortrag Beitrag zur asozialen Charakterbildung am 10. Dezember 1929), 1931 zum Vollmitglied. Ab 1933 gehörte sie dem Unterrichtsauschuss an und 1934 wurde sie Lehranalytikerin der DPG.

Edith Jacobssohn engagierte sich im sogenannten „Kinderseminar“ von Fenichel, zählte zu den Empfängerinnen von Fenichels Rundbriefen und arbeitete ab 1932 in der marxistischen Arbeitsgemeinschaft von Wilhelm Reich, mit dem sie auch an einer Sexualberatungsstelle für Jugendliche in Berlin-Charlottenburg tätig war. Daneben nahm sie am „interkonfessionellen Arbeitskreis“ von Walter Schindler teil, der nach der Erinnerung von Werner Kemper von Arthur Kronfeld angeregt worden war, und an dem bekannte Psychotherapeuten wie Johannes Heinrich Schultz, Alexander Herzberg, Manès Sperber, Fritz Künkel, Karen Horney, Harald Schultz-Hencke u.a. teilnahmen.[3]

Obwohl sie sich ihrer Gefährdung bewusst war, entschloss sie sich – als eine der wenigen jüdischen Analytikerinnen – 1933 gegen eine Emigration und arbeitete mit politischen Patienten der Widerstandsgruppe Neu Beginnen. Obwohl die DPG ihren Mitgliedern politische Abstinenz verordnet hatte, behandelte sie Regimegegner. Am 24. Oktober 1935 wurde sie von der Gestapo verhaftet, weil sie sich weigerte, Informationen über einen Patienten preiszugeben. In einem politischen Prozess wurde sie wegen Hochverrats zu zweieinviertel Jahren Zuchthaus verurteilt. Unmittelbar nach ihrer Inhaftierung begann sie mit dem Verfassen von persönlichen Aufzeichnungen über ihre existenzgefährdende Lebenssituation; weiterhin verfasste sie Gedichte sowie eine psychoanalytische Studie. Diese Aufzeichnungen blieben mehrere Jahrzehnte lang unentdeckt und erschienen 80 Jahre später, 2015, unter dem Titel Gefängnisaufzeichnungen.[4] Eine Arbeit über das weibliche Über-Ich entstand im Gefängnis, wurde herausgeschmuggelt und 1936 – anonym – auf dem Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Marienbad verlesen. In diesem Text kritisierte sie Sigmund Freuds Weiblichkeitstheorie. Ihrer Ansicht nach muss eine Frau, um ein stabiles Ich und selbständiges Über-Ich zu entwickeln, statt das Über-Ich des Mannes zu übernehmen, ihr weibliches Genital als wertvoll akzeptieren lernen und einen Weg zurück zu mütterlichen Ich- und Über-Ich-Identifizierungen finden. Eine zweite Arbeit der Haftzeit befasst sich mit den „Psychologische[n] Auswirkungen des Gefängnisaufenthaltes auf weibliche politische Gefangene“, sie erschien erst 1949.

Im Gefängnis erkrankte Jacobssohn an Diabetes und der Basedow-Krankheit. Sie erhielt deswegen Hafturlaub. Aus dem Krankenhaus in Leipzig gelang ihr Anfang 1938 die Flucht in die Tschechoslowakei.[5] Von dort aus gelangte sie in die Vereinigten Staaten, wo sie sich schnell etablieren konnte. Nach ihrer Emigration nannte sie sich konsequent Jacobson.

Jacobson kam am 9. Oktober 1938 in New York an. 1939 bestand sie einen Sprachtest und das amerikanische „State Board Examination“. Im selben Jahr eröffnete sie eine Privatpraxis in New York. Angesichts der feindlichen Haltung der amerikanischen Analytiker gegenüber der so genannten Laienanalyse erleichterte die Tatsache, dass sie Ärztin war, ihre Etablierung als Analytikerin.

1941 wurde sie Mitglied der New York Psychoanalytic Institute aufgenommen, arbeitete in dieser Institution ab 1942 als Lehranalytikerin und war von 1954 bis 1956 Präsidentin der Vereinigung. Darüber hinaus war sie Gastprofessorin für Psychiatrie am Albert Einstein College of Medicine des Montefiore Hospitals. In den Vereinigten Staaten entstanden ihre Hauptwerke, durch die sie international bekannt wurde. In ihren Arbeiten stehen nicht die Triebschicksale, sondern die intrapsychischen Strukturen im Zentrum. Edith Jacobson ließ sich von Sándor Radós Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Objekten und der Ich-Psychologie Heinz Hartmanns inspirieren.

1964 erschien ihr Buch The Self and the Object World, in dem sie Triebtheorie und Objektbeziehungstheorie zu integrieren sucht. Es gilt als eines der wichtigsten Werke der Psychoanalyse. Anhand von Fallgeschichten beschreibt sie darin, wie Regressionsvorgänge bei depressiven und Borderline-Patienten zu schweren Beeinträchtigungen der Objektbeziehungen und der Ich- und Über-Ich-Funktionen führen, hierbei begleitet von der Auflösung identitätsbildender Identifizierungen. Diese Prozesse geben Jacobson zufolge gleichzeitig Aufschluss über die normale Entwicklung der Identität. Ausgehend von einer Untersuchung der Triebmanifestationen des Säuglings auf Stufe einer noch undifferenzierten psychosomatischen Ich-Es-Matrix, dem „frühesten psychophysischen Selbst“, zeigte Edith Jacobson, wie die Selbst- und Objektrepräsentanzen des Kindes errichtet werden und welche Rolle sie für die Entwicklung von Objektbeziehungen und bei der Identitätsbildung spielen.

Ebenfalls als „Klassiker der Psychoanalyse“[6] wird Edith Jacobsons Werk über Depression bezeichnet. Ihr zufolge liege allen depressiven Zuständen ein durch Frustrationen ausgelöster narzisstischer Konflikt zwischen der wunschbestimmten Selbstimago und der Imago eines scheiternden, entwerteten Selbst zugrunde. Die Schwere einer Depression hänge einerseits vom Grad der Frustration an, andererseits von Art und Intensität der beteiligten Triebe ab. Bei psychotischen Depressionen vermutete sie außerdem neurophysiologische Störungen.

Obwohl ihre Arbeit in den USA anerkannt wurde, verkehrte sie privat hauptsächlich mit anderen Exilantinnen und Exilanten.

Jacobson war in den USA nicht mehr politisch aktiv. Etwas von ihrer sozialen Haltung drückte sich noch in den niedrigen Honoraren aus, die sie in New York verlangte.

Edith Jacobson blieb unverheiratet und kinderlos. Sie starb am 8. Dezember 1978 in Rochester, New York.

Mit Freud in Berlin heißt ein Projekt von 16 Glastafeln in Wilmersdorf und Charlottenburg, das durch die Stadtrundfahrten „...auf den Spuren der Psychoanalyse“ finanziert wurde. Bei jeder Stadtrundfahrt, die normalerweise als Begleitprogramm eines psychoanalytischen Kongress stattfand, wurde eine Tafel enthüllt. Die Sponsoren waren Mitfahrenden, Institutionen oder Kongressteilnehmer. Die Tafeln sind - bis auf eine - aus Glas und erlauben je nach Lichteinfall eine Spiegelung oder einen Schatten auf der Wand. Bei jeder Enthüllung einer Tafel entstand zusätzlich ein Poster mit den wichtigsten Lebensdaten des oder der Geehrten und mit Bildern. Am 30. April 2005 wurde die Gedenktafel für Edith Jacobson in der Emser Straße 39d enthüllt, Sponsoren waren Thekla Nordwind, Ulrike May und Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Anlass war die 52. Jahrestagung der Vereinigung Analytischer Kinder und Jugendlichen-Psychotherapeuten (VAKJP). Die Tagung stand unter dem Titel: Der Körper als Gefäß. Von der Psyche zum Körper, vom Körper zur Psyche.