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In Trebnitz,
dem Ort der Grabstätte der schlesischen Landespatronin Hedwig, geboren
und seit 1910 in Schweidnitz aufgewachsen, konnte
Hubert Thienel
gleich zwei
traditionsreiche Städte in Niederschlesien als seine Heimat bezeichnen.
Sein aus Wansen gebürtiger Vater Otto Thienel war Oberpostsekretär und
ließ sich nach Schweidnitz versetzen, in die Heimat seiner Frau Helene,
geborene Adam. Als Abiturient des Evangelischen Gymnasiums in
Schweidnitz begann Thienel 1925 das Studium der katholischen Theologie
in Breslau und Freiburg/Breisgau. Schon in der Schulzeit hatte er zu den
ersten Führern des „Quickborn“ in seiner Heimatpfarrei gehört und war
durch diese katholische Jugendbewegung nachhaltig geprägt worden. Die
Priesterweihe erfolgte am 2. Februar 1930 in Breslau durch Adolf
Kardinal Bertram. Nach einer Vertretung in Kraschen/Kreis Guhrau wurde
der Neupriester vierter Kaplan an St. Nikolaus in Breslau, der mit
24.000 Katholiken größten Pfarrei der Erzdiözese. In dieser
Arbeitergemeinde wurde der junge Geistliche mit den sozialen Nöten der
Jahre nach der Weltwirtschaftskrise konfrontiert und erprobte neue
Formen der Schulung von Jugendgruppenführern. Als Kardinal Bertram im
Zuge der staatlich verordneten Auflösung der katholischen Jugendverbände
1937 eine zentrale Diözesanjugendseelsorge in Breslau errichtete, berief
er den erfolgreichen Jugendkaplan zum ersten Diözesanpräses der
Frauenjugend und zugleich zum Domvikar. Thienel hatte mit der
Organisation von Jugendwallfahrten, Schulungen und Exerzitien im
totalitären System eine schwierige Aufgabe übernommen, die zu insgesamt
39 Verhören durch die Gestapo führte. Nebenher fungierte Thienel in den
Kriegsjahren auf zahlreichen Firmreisen des Breslauer Weihbischofs Josef
Ferche als dessen Begleiter.
Noch vor der
Vertreibung erreichte
den Diözesanpräses im
Februar 1946 der Ruf
des Kölner Kardinals
Josef Frings, seine
bewährte Arbeit als
Referent für
Frauenjugend in der
Bischöflichen
Hauptarbeitsstelle für
Jugendseelsorge und
Jugendorganisation in
Haus Altenberg bei
Köln unter der Leitung
von Prälat Ludwig
Wolker weiterzuführen.
Mit Gerhard Moschner
und Johannes Theissing
traf sich dort ein
Dreiergespann wieder,
das bereits in der
Breslauer
Diözesanjugendseelsorge
eng zusammengearbeitet
hatte. 1947 gehörte er
hier zu den
Mitbegründern des
Bundes der deutschen
katholischen Jugend
(BDKJ). Höhepunkt und
Abschluß dieser
Tätigkeit war die
große Jugend-Wallfahrt
zum Heiligen Jahr 1950
nach Rom, die er
maßgeblich mit
organisierte. Ab
Anfang 1951 setzte
Thienel seine Talente
als Generalsekretär
der Bischöflichen
Hauptarbeitsstelle für
Frauenseelsorge in
Düsseldorf ein. Zwei
Jahre später gehörte
er dort zu den
Wiederbegründern des
Zentralverbandes
Katholischer
Frauengemeinschaften
Deutschlands (KFD).
1958 wurde er zum
Päpstlichen
Geheimkämmerer
(Monsignore) und 1964
zum Päpstlichen
Hausprälaten ernannt.
Kurz nach dem im
September 1971
erfolgten Eintritt in
den Ruhestand
bestellte ihn die
Deutsche
Bischofskonferenz am
28. April 1972 in der
Nachfolge des
verstorbenen Prälaten
Oskar Golombek zum
Sprecher der
heimatvertriebenen
Priester aus dem
Erzbistum Breslau in
Deutschland und
zugleich zum Leiter
der Katholischen
Arbeitsstelle für
Heimatvertriebene
(Nord) in Köln sowie
zum
Diözesan-Vertriebenenseelsorger
im Erzbistum Köln.
Nachdem infolge der
Errichtung einer
polnischen Hierarchie
in den ehemaligen
deutschen Ostgebieten
im Sommer 1972 die
bisherigen
Kapitularvikare der
ostdeutschen Diözesen
in der Bundesrepublik
zu Apostolischen
Visitatoren ernannt
worden waren, blieb
ein entsprechendes Amt
für die Vertriebenen
aus der Erzdiözese
Breslau zunächst aus.
Im Vatikan glaubte
man, mit der Erhebung
des deutschen
Restteils der
Erzdiözese Breslau zur
Apostolischen
Administratur Görlitz
die schlesische
Tradition genügend
berücksichtigt zu
haben. Auf Anfrage der
Deutschen
Bischofskonferenz
wurde am 28. Oktober
1972 auch für die
Breslauer
Bistumsangehörigen in
Deutschland ein
Apostolischer
Visitator ernannt. Es
schien nur
folgerichtig, daß
Papst Paul VI. mit
dieser Aufgabe Prälat
Thienel betraute und
ihm kurz darauf die
höchste Prälatenwürde
eines
Apostolischen
Protonotars verlieh.
Thienel verlegte sein
Büro von Köln nach
Düsseldorf, wo er
zudem als Subsidiar
der Pfarrei Hl.
Dreifaltigkeit im
Stadtteil Derendorf
verbunden blieb. Bei
seinem Amtsantritt
stand ihm die
Jurisdiktion über 837
Priester zu, die für
das Bistum Breslau
geweiht waren und in
20 bundesdeutschen
Bistümern ihren Dienst
verrichteten. Jedoch
handelte es sich dabei
um eine rein
symbolische Aufgabe,
da der Apostolische
Visitator in der
Realität lediglich
durch Ernennung
verdienter
schlesischer Priester
zu Geistlichen Räten
dafür sorgte, daß
diese einen Ausgleich
für in der
Nachkriegszeit
erfahrene
Zurücksetzungen im
Klerus ihrer
Wirkungsdiözesen
erhielten. Darüber
hinaus hielt Thienel
über Ordinariatsrat
Herbert Mischkowsky
(Hildesheim) und Prof.
Erich Kleineidam
(Erfurt) Kontakt zu
den nahezu 200
Breslauer Priestern in
den
Jurisdiktionsbezirken
der DDR und kümmerte
sich um die
Spätaussiedlerpriester,
die Polen großteils
ohne Erlaubnis ihrer
Heimatbischöfe
verlassen hatten und
daher von diesen
suspendiert worden
waren. Ihre
Eingliederung in den
priesterlichen Dienst
der bundesdeutschen
Bistümer war Hubert
Thienel ein wichtiges
Anliegen.
Mit tatkräftiger
Unterstützung des
Kirchenrechtlers Prof.
Dr. Emil Brzoska
(1909-1993) errichtete
Thienel 1974 zu seiner
Beratung ein aus
sieben Priestern
bestehendes
Konsistorium und zwei
Jahre später einen
paritätisch mit
Priestern und Laien
besetzten Pastoralrat.
Auf wissenschaftlicher
Ebene setzte er sich
als
Kuratoriumsvorsitzender
für das
Kardinal-Bertram-Stipendium
ein, das seit 1973
jährlich zu drei
Themen für
Nachwuchshistoriker
und -theologen
ausgeschrieben wurde.
Die Zeitschrift der
Eichendorffgilden „Der
schlesische Katholik“
wandelte er 1974 in
den „Heimatbrief der
Katholiken des
Erzbistums Breslau“
um, der fortan unter
seiner Regie erschien
und dessen neuer Titel
die Bindung an das
frühere deutsche
Erzbistum Breslau
intensivieren sollte.
Den vier jährlichen
Ausgaben stellte der
Apostolische Visitator
jeweils
programmatische
Geleitworte voran.
Erst im November 1982
nahm Papst Johannes
Paul II. das zweite
Rücktrittsgesuch
Thienels an und
bestellte den Telgter
Propst Winfried König
zu dessen Nachfolger.
Im Rahmen der
Amtsübergabe im Juli
1983 in
Königstein/Taunus
erhielt Thienel die
von ihm selbst
gestiftete
St.-Hedwigs-Medaille
verliehen. Außerdem
wurde er mit der
Ernennung zum
Konventualkaplan des
Malteser-Ritterordens
geehrt.
Für sein
Engagement zugunsten
der katholischen
Schlesier erfuhr der
Prälat darüber hinaus
zahlreiche Ehrungen
auf weltlicher Ebene,
zu denen das Große
Verdienstkreuz des
Verdienstordens der
Bundesrepublik
Deutschland (November
1979) gehörte.
Am 19. Juni 1981 wurde
ihm zudem der
Schlesierschild der
Landsmannschaft
Schlesien verliehen,
am 10. September 1983
erhielt er die
„Plakette für
Verdienste um den
deutschen Osten und
das
Selbstbestimmungsrecht“
und im Juli 1984 die
Goldene Ehrennadel der
Landsmannschaft
Oberschlesien.
Nach seinem
plötzlichen Tod fand
er am 30. Dezember
1987 in der
Priestergruft des
Düsseldorfer
Nordfriedhofs seine
letzte Ruhestätte, zu
der ihn der Kölner
Diözesanadministrator
Weihbischof Hubert
Luthe,
„Vertriebenenbischof“
Gerhard Pieschl und
der Apostolische
Visitator Prälat
Winfried König mit
einer großen
Trauergemeinde
geleiteten.
Trotz seines
vorgerückten Alters
füllte Prälat Hubert
Thienel sein Amt über
die kirchliche
Pensionsgrenze von 75
Jahren hinaus aus und
stand überdies bis zu
seinem Tod für
pastorale Aufgaben
bei den katholischen
Schlesiern zur
Verfügung. Immer
wieder erwies er sich
als „ein fulminanter
Prediger ..., der auch
Skeptiker mitreißen
und begeistern“ (Paul
Mai) konnte.
Die religiöse
Identität Schlesiens
in der Fremde zu
bewahren und für
Kontinuität zu
garantieren, waren
seine Anliegen, mit
denen er sich selbst
als treuer Hüter der
Tradition des
deutschen Erzbistums
Breslau in der vom
Kalten Krieg geprägten
bundesdeutschen
Nachkriegsgesellschaft
vor der politischen
Wende von 1989 sah.
Lit.: Josef
Negwer (Hrsg. Kurt
Engelbert): Geschichte
des Breslauer
Domkapitels im Rahmen
der Diözesangeschichte
vom Beginn des 19.
Jahrhunderts bis zum
Ende des Zweiten
Weltkrieges,
Hildesheim 1964, S.
320. – Clemens Riedel:
Prälat Hubert Thienel
feierte am 10. Oktober
1974 seinen 70.
Geburtstag, in:
Heimatbrief der
Katholiken
des Erzbistums Breslau
4/1974, S. 9f. –
Widmung, in: Archiv
für schlesische
Kirchengeschichte 32
(1974), S. VII-VIII. –
E(mil) B(rzoska): Dem
Apostolischen
Visitator von Breslau
Prälat Hubert Thienel
zu seinem 75.
Geburtstag Gruß und
Dank, in: Heimatbrief
der Katholiken des
Erzbistums Breslau
4/1979, S. 7f. - Dr.
F(ranz) L(orenz):
„So sehe ich mein
Volk“. „Festliche
Stunde“ für Prälat
Hubert Thienel und
Clemens Riedel, in:
Heimatbrief der
Katholiken des
Erzbistums Breslau
5/1979, S. 7-9. – Emil
Brzoska: Porträt der
Päpste. Pius XII. bis
Johannes Paul II.
1939-1979. Festgabe an
den Apostolischen
Visitator Hubert
Thienel, Köln 1979. –
Widmung für den
Apostolischen
Visitator Hubert
Thienel zu seinem
50jährigen
Priesterjubiläum, in:
Archiv für schlesische
Kirchengeschichte 38
(1980), S. XII. – Wk:
Ein Fest der Freude
und des Dankes
[Goldenes
Priesterjubiläum
Hubert Thienel], in:
Heimatbrief der
Katholiken des
Erzbistums Breslau
1/1980, S. 11f. –
Werner Marschall:
Geschichte des Bistums
Breslau, Stuttgart
1980, S. 199ff. –
Schlesierschild für
Prälat Hubert Thienel,
in: Heimatbrief der
Katholiken des
Erzbistums Breslau
3/1981, S. 44. –
Edeltraut Wloczyk
(Hrsg.): Erinnerung
und Dank. Prälat
Hubert Thienel zum 80.
Geburtstag 10.10.1984,
Düsseldorf 1984. – Zum
80. Geburtstag von
Prälat Thienel, in:
Heimatbrief der
Katholiken des
Erzbistums Breslau
4/1984, S. 58. –
Werner Marschall: Zum
80. Geburtstag von
Prälat Hubert Thienel,
in: Archiv für
schlesische
Kirchengeschichte 42
(1984), S. 251-252. –
Nachrufe, in:
Heimatbrief der
Katholiken des
Erzbistums Breslau
1/1988, S. 1-9. –
Edeltraut Wloczyk:
Hubert Thienel
(1904-1987), in:
Johannes Gröger u.a.
(Hrsg.): Schlesische
Kirche in
Lebensbildern,
Sigmaringen 1992, S.
259-265. – Emil
Brzoska/Werner
Marschall: Die
Apostolische Visitatur
Breslau, in: Hubert
Unverricht/Gundolf
Keil (Hrsg.): De
Ecclesia Silesiae.
Festschrift zum
25jährigen Bestehen
der Apostolischen
Visitatur Breslau,
Sigmaringen 1997, S.
17-26. – Paul Mai: Die
Apostolischen
Visitatoren für
Priester und Gläubige
aus der Erzdiözese
Breslau und das
Institut für
Ostdeutsche Kirchen-
und Kulturgeschichte,
in: Hubert Unverricht/Gundolf
Keil (Hrsg.): De
Ecclesia Silesiae, S.
27-48. – Johannes
Gröger: 25 Jahre
Apostolische Visitatur
Breslau. Ein
Rückblick, in:
Winfried König
(Hrsg.): Kirche im
Dienst der
Schlesischen Menschen.
25 Jahre Apostolische
Visitatur Breslau
(Schriftenreihe der
Apostolischen
Visitatur Breslau, Bd.
6), Münster 1998, S.
12-33. – Zur
Geschichte der
katholischen
Pfarrjugend
Schweidnitz, gesammelt
von Josi Zappe,
Sinsheim 1999. –
Johannes Gröger: „An
die Seelen dieser
Menschen herankommen“.
Formen und
Entwicklungen
katholischer
Vertriebenenseelsorge,
in: Michael
Hirschfeld/Markus
Trautmann (Hrsg.):
Gelebter Glaube –
Hoffen auf Heimat.
Katholische
Vertriebene im Bistum
Münster, Münster 1999,
S. 19-70. – Johannes
Gröger/Michael
Hirschfeld (Bearb.):
Deine Auferstehung
preisen wir.
Verzeichnis der
verstorbenen Priester
des Erzbistums Breslau
1945-1999, Münster
2000, S. 107. –
Michael Hirschfeld:
Die schlesischen
Katholiken nach 1945
in Westdeutschland,
in: Winfried König
(Hrsg.): Erbe und
Auftrag der
schlesischen Kirche.
1000 Jahre Bistum
Breslau, Dülmen u.
Piechowice 2001, S.
256-279. – Thienel,
Hubert (1904-1987),
in: Erwin Gatz
(Hrsg.): Die Bischöfe
der deutschsprachigen
Länder 1945-2001. Ein
biographisches
Lexikon, Berlin 2002,
S. 120. – Edeltraut
Wloczyk: Die
ungeschriebenen
Memoiren des
Apostolischen
Visitators, in:
Schlesien in Kirche
und Welt 5/2004, S,
84-86. – Michael
Hirschfeld: Thienel,
Hubert, in:
Biographisch-Bibliographisches
Kirchenlexikon, Bd.
XXIII (2004), Sp.
1491-1496.
Werke: (Hrsg.):
Heimatbrief der
Katholiken des
(später: aus dem)
Erzbistum(s) Breslau,
Köln 1/1974-5/1983.
Zahlreiche Artikel,
in: Bunte Kette,
Morgen, Brunnen
(Zeitschriften des
Jugendhauses Altenberg
1946-1951), in: Frau
und Mutter, Frau und
Beruf, Die
Mitarbeiterin, Zum
Dienste ausgesandt
(Zeitschriften des
Hauses der
katholischen Frauen
Düsseldorf), darunter:
Die hl. Hedwig – eine
moderne Frau, in: Frau
und Beruf 6/1967, S.
12-14. – Hedwig, die
Heilige zweier Völker,
in: Frau und Mutter v.
6.3.1967, S. 172f. –
Zahlreiche Artikel,
in: Heimatbrief der
Katholiken des
Erzbistums Breslau:
„Wir grüßen dich,
heilige Anna“, in:
2/1974, S. 3. – Wie es
einem Neupriester im
Jahre 1930 erging, in:
1/1980, S. 12-15. –
Was tat die Erzdiözese
Breslau für die
Erhaltung der
polnischen Sprache,
in: 2/1984, S. 26-28.
– Trebnitz – die Stadt
der heiligen Hedwig,
in: 4/1985, S. 52-55.
Zehn Jahre
Apostolische Visitatur
Breslau (1972-1982),
in: Helmut
Neubach/Hans-Ludwig
Abmeier (Hrsg.): Für
unser Schlesien.
Festschrift für
Herbert Hupka,
München-Wien 1985, S.
166-178.
Bild:
Totenzettel, Archiv
des Apost. Visitators
Breslau, Münster.
Michael Hirschfeld
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