schl22

Viel haben macht nicht reich.  Der ist ein reicher Mann, der alles was er hat, ohne Leid verlieren kann.

        Bedeutende Schlesier

Wer immer fröhlich ist auf Erden wird 99 Jahre werden und wer durchs Leben geht mit Schwung der ist mit 100 Jahr'n noch jung.

      

  Pers. alphabetisch                                      A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Y Z
      
   
                  Nobelpreisträger Physiker 
                  Architekten, Ingenieure  Photografen, Optiker
                  Ärzte, Mediziner  Politiker
                  Chemiker Sänger
                  Dichter Schauspieler, Kabarettisten
                  Journalisten, Moderatoren Schriftsteller 
                  Historiker, Philosophen Sportler
                  Komponisten, Musiker, Dirigenten  Theaterkritiker
                  Maler, Grafiker  Theologen, Geistliche
                  Mathematiker  Industrielle, Unternehmer 
                  Militärs  Widerstandskämpfer 
                  Monarchen, Fürsten   Wissenschaftler,Forscher,Botaniker
                   
        

                                                                        zum  Buchstaben  T        zu  Wiederstandskampfer.  
                                                       

  Richard  Titze       

*  29.9 1910 in Schersau,  

03.10.1990 in Dachau.

 Widerstandskämpfer.

   
 

 Richard, Titze  Geboren am 29. September 1910 in Schersau (Schlesien), gestorben am 3. Oktober 1990 in Dachau.

Er stellt sich an die Seite der Dachauer Bürger und bleibt einer von ihnen.

Richard Titze wächst ab 1912 in Essen auf, wohin seine Eltern aus Niederschlesien, einem damaligen Hungergebiet, gekommen sind. Der Vater arbeitet sich bei Krupp als Härter ein. Erlebnisse während des Ruhrkampfes und während der Ruhrbesetzung Anfang der zwanziger Jahre prägen Richard Titze politisch und persönlich. Besonders zum Nachdenken kommt er bereits als Elfjähriger durch folgende Beobachtung: »Beim Einmarsch der Weißgardisten in Essen lagerte der Troß (Pferde, Bagagewagen) vor dem Polizeipräsidium, und als Kind war ich neugierig und sah mir das an - und dann beobachtete ich, daß dort von den besseren Frauen, also die sich bessere Frauen nannten, die Pferde mit Schokolade gefüttert wurden! Schokolade aber gab es bei uns zu Hause fast nie. Sie war für uns der Inbegriff des Genusses. Da kam mir zum Bewußtsein, daß es zwei Klassen gibt. Da begann ich, klassenbewußt zu denken.« Aufgrund einer Vielzahl entsprechender Erfahrungen tritt Titze 1926 - während seiner Lehrzeit als Maurer bei Krupp - dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) bei, in dessen Unterbezirksvorstand er später mitarbeitet.

Politischer Kampf und Inhaftierung

Schon früh sieht Richard Titze wie auch viele andere um ihn herum die große Gefahr des anwachsenden Nationalsozialismus und versteht nicht, warum sich SPD und KPD so scharf gegeneinander abgrenzen. »Als wir merkten, daß der Faschismus immer näher kam, verstärkten sich die Einheitsbestrebungen unter den Mitgliedern, entgegen den Parteibeschlüssen.« Absprachen und Hilfen finden zum Beispiel statt bei Plakataktionen. Auch eine Vielzahl von Kontakten zu christlichen Gruppen gibt es. Erst im Spätsommer 1933 wird -viel zu spät - eine konspirative Organisation der Linken aufgebaut mit Fünfergruppen, von denen jeweils nur ein Mitglied Kontakt zur nächsthöheren Parteiebene hat. Bei der Jugend ist die Aktivität gegen die Nazis größer als bei den Älteren in der Partei. Sie sieht: Hitler will den Krieg. Damit steht sie vor der Wahl, entweder sich von ihm im Krieg »verheizen« zu lassen oder dafür zu kämpfen, daß es keinen Krieg gibt. »Es war für uns eine patriotische Tat, illegal den Kampf für unser Deutschland aufzunehmen. Wir wollten nicht, daß es gehaßt oder zerstört würde. Schließlich sahen wir ja noch die Schäden und Folgen des Ersten Weltkriegs.« Titze hilft unter anderem mit bei der illegalen Durchführung des Internationalen Jugendtages im März 1933, der in einem Wald bei Essen stattfindet. Die Teilnehmer sind als Spaziergänger getarnt. »Dort wurde der Beschluß gefaßt, uns in kleinen Gruppen zielstrebig zur Kaulbachhöhe, einer Essener Arbeitersiedlung, zu begeben. Wir führten eine Kundgebung mit Sprechchören und Ansprachen durch und verteilten Flugblätter. Ziel der Kundgebung war es, klarzustellen: Hitler bedeutet Krieg.«

Im Dezember 1934 wird Titze auf der Nordseeinsel Norderney verhaftet. Dort hat er nach Arbeitslosigkeit und erzwungenem Arbeitsdienst, aus dem er entwichen ist, Beschäftigung gefunden. Es folgen wochenlange Verhöre und Folterungen durch die Gestapo in Essen. Der Prozeß gegen ihn und weitere 44 junge Leute aus den verschiedensten politischen und kirchlichen Verbänden findet im Oktober 1935 vor dem Oberlandesgericht Hamm statt. Als Kommunist wird er mit äußerster Schärfe beurteilt und erhält acht Jahre Zuchthaus. Auch in den Strafanstalten Münster und Werl drangsaliert man ihn wegen seiner politischen Zugehörigkeit. Dies steigert sich noch, als Solidaritätsaktionen unter den politischen Häftlingen, wie zum Beispiel Lebensmittelhilfen für besonders bedürftige Kameraden und Nachrichtenverbreitung, von kriminellen Gefangenen verraten werden. Um ein Geständnis zu erpressen, erhalten er und weitere 16 Kameraden vier Wochen Bunkerhaft. Und als sie schweigen, werden sie mit strenger Einzelhaft bestraft, die sich über ein volles Jahr hinzieht. Besonders aus dieser Zeit rühren bei Titze Gesundheitsschäden her, die ihm bis heute sehr zusetzen. Ein Wärter quält ihn während dieses ganzen Jahres, indem er ihm immer wieder den nahen Tod androht. Auch der Pfarrer versucht, »mit süßen Worten« den Häftlingen ein Geständnis zu entlocken. Ihr solidarisches Schweigen aber rettet ihnen das Leben, als sie wegen ihrer Hilfsaktion schließlich vor den Volksgerichtshof gebracht werden. Dort ist nämlich noch die Öffentlichkeit zugelassen und deshalb eine Verurteilung ohne Geständnis oder ausreichende Beweise nicht möglich. Was Titze und seine Kameraden bei alledem aufrecht hält, ist ihr Bewußtsein, recht zu haben. Er meint dazu: »Was über die Nationalsozialisten vorauszusehen war, das bestätigte sich immer wieder. Unsere Haltung kam ja nicht aus der Luft. Sie beruhte auf einem Wissen. Wir haben ja auch Bücher gelesen und aufgebaut auf einem politischen Denken. Das war unsere Stärke.« Im Dezember 1942 wird Titze, abgemagert auf ein Gewicht von 46 Kilogramm, aus dem Zuchthaus Werl entlassen - und sofort von der Gestapo in Schutzhaft genommen. Die Begründung lautet etwa so: »Sein Verhalten in der Strafhaft läßt annehmen, daß er weiter geistig und körperlich für den Kommunismus arbeiten wird. Deshalb muß er in Schutzhaft genommen werden.«

Häftling im Konzentrationslager Dachau

Bereits der Transport nach Dachau ist quälend und entwürdigend. So besteht die »Übernachtung« in Frankfurt am Main darin, daß die Gefangenen in engen Käfigen bei eisiger Kälte auf dem Bahnsteig stehen müssen, begafft von den Reisenden. »Wir waren so richtige Vorführobjekte für die, schlecht gekleidet und unrasiert. Besonders das Aussehen der russischen Kriegsgefangenen sollte die Hetzpropaganda vom bolschewistischen Untermenschen untermauern. Aber du hast teilweise auch erlebt, daß Passanten dir zugenickt haben. Das war ermutigend.« Am 19. Februar 1943 kommt Titze im KZ Dachau an. Ohne die Solidarität der Kameraden hätte er die ersten Wochen schwerlich überstanden. Besonders die Zustände auf dem Zugangsblock sind fürchterlich. »Dieser Block hatte den Zweck, dich körperlich und seelisch zu brechen. So hatten vier Mann nur ein Bett. Das war bereits eine Qual, in solcher Enge zu leben. Da gab es viele Selbstmorde. Und da war Typhus in der Baracke. Jede Nacht Tote, jede Nacht Tote: 20, 30, 40 Leichen, aufgereiht in der Lagerstraße. « Den »Begrüßungsappell« des SS-Blockführers acht Tage nach der Einlieferung wird Titze nie vergessen: »Figuren, herhören! Ihr habt jetzt eine Nummer. Das heißt, daß ihr nur noch Kreaturen seid. Indem ihr die Nummer habt, seid ihr aus der menschlichen Volksgemeinschaft ausgeschlossen. Das heißt also, wir können mit euch umgehen, wie wir wollen. Wir haben hier eine richtig harte Disziplin, und wenn ihr euch der Disziplin nicht fügt, dann werdet ihr den Tod als euren Freund betrachten!« Diese Sätze geben die Realität im Lager wieder, auch wenn in dieser Zeit nicht mehr ganz so brutal mit den Häftlingen umgegangen wird, da man ihre Arbeitskraft in den SS-Betneben und in der Rüstungsindustrie dringend braucht. Titze wird schon bald in die Aktivitäten einer Widerstandsgruppe unter den Häftlingen mit einbezogen, da er den Kameraden bereits vor seiner Ankunft in Dachau als zuverlässiger Mann bekannt gewesen ist. Er erhält die für den Widerstand wichtige Funktion als Capo in einem Außenkommando zum Luftschutzkellerbau in Dachau. Es handelt sich um ein sogenanntes Verschwindekommando, in dem gefährdete Häftlinge dem Zugriff der SS nicht mehr so stark ausgesetzt sind. Er rettet damit vielen Gefangenen das Leben. Außerdem beteiligt er sich am Beschaffen von Lebensmitteln für besonders geschwächte Kameraden.

Arbeit für das Vermächtnis der Häftlinge

Am 24. April 1945 können Richard Titze und weitere 13 Kameraden durch Hilfe von außen fliehen. Sie nehmen am Dachauer Aufstand vom 28. April teil, durch den Tausende von Häftlingen, die noch im Lager sind, davor bewahrt werden, auf den Todesmarsch zu gehen. Die Befreiung am 29. April erlebt er in der Stadt. Von seinem Versteck aus sieht er die ersten amerikanischen Panzer heranrollen. Nach der Einnahme Dachaus beteiligt er sich am »Antifaschistischen Arbeitsausschuß« (AFA) und übernimmt die verschiedensten Aufgaben, so zum Beispiel als Stadtpolizist oder als Organisator von Versorgungsaktionen für die Stadt und für das ehemalige Lager. Bis 1950 arbeitet er in der Betreuungsstelle für entlassene Häftlinge mit. Aus diesem Engagement ergibt sich für ihn, daß er in Dachau wohnen bleibt. Während seines weiteren Lebens von 1945 an steht immer der Auftrag vor ihm, den sich die Dachauer Häftlinge bei der Befreiung gegeben haben und der sinngemäß so lautet: »Wir sind es uns und den toten Kameraden schuldig, unsere Kraft einzusetzen, daß nie wieder die Herzen und die Köpfe der Menschen von der Ideologie des Faschismus vergiftet werden.« Viele Jahre lang war Titze Vorsitzender der VVN in Dachau und Mitglied ihres Landesvorstands und hat zahlreiche politische Auseinandersetzungen in Dachau und außerhalb bestritten. In all den Jahren, die er in Dachau lebte, hat er nicht übersehen, daß man ihm »persönlich immer die größte Sympathie entgegengebracht« hat. So hat er 1985 für seine Verdienste um die Stadt Dachau die Bürgermedaille erhalten. Mit seiner »Entschädigung« für die Haft in Höhe von fünf Mark pro Tag kann er den Grundstock zu einem Laden für Solinger Stahlwaren in der Dachauer Altstadt legen, mit dem er sich bis 1977 seinen Lebensunterhalt verdient. Auch als Hobbymaler ist er bei Ausstellungen der Dachauer Freizeitkünstler hervorgetreten. Im Mittelpunkt seines Lebens stand neben der Sorge für die Familie das Anliegen, wie das Vermächtnis der Häftlinge unverfälscht an die Jugend weitergegeben werden kann. Bei unzähligen Führungen durch die KZ - Gedenkstätte, an deren Aufbau er beteiligt war, und bei Vorträgen vor Schulklassen und anderen Besuchergruppen beeindruckte er die Zuhörer durch seine klare, direkte Sprache und durch die präzisen Darstellungen.

Dokumentation: Jürgen Müller-Hohagen