Walter Wiora (* 30. Dezember 1906 in Kattowitz; † 8. Februar 1997 in Tutzing) war ein deutscher Musikwissenschaftler und Musikhistoriker.

Wiora promovierte in Freiburg bei Wilibald Gurlitt und war dann als Mitarbeiter beim Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg tätig. Er wurde auf Antrag vom 19. Mai 1937 NSDAP-Mitglied (Nr. 4.715.785).[1][2] 1940 schrieb er einen Beitrag zur Volksliedforschung in Alfred Rosenbergs Zeitschrift Die Musik unter dem Titel: „Die Molltonart im Volkslied der Deutschen in Polen und im polnischen Volkslied“.[2] Wiora wurde 1941 habilitiert und 1942 Dozent an der „Reichsuniversität Posen“.[3] Gleichzeitig war er als Musikkritiker für die Zeitung "Das Reich" tätig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er 1946 an das Deutsche Volksliedarchiv zurück, wo er bis 1958 als Archivar und Leiter der Musikabteilung tätig war. 1957 gründete er die Herder-Forschungsstelle für Musikgeschichte, die er bis 1962 leitete. Seit Oktober 1958 war er Professor für Musikwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. 1962/63 war er als Visiting Professor an der Columbia University. Anschließend wirkte er von 1964 bis 1972 an der Universität des Saarlandes als musikwissenschaftlicher Ordinarius. Sein Nachfolger in Saarbrücken wurde Werner Braun.

Wiora beschäftigte sich zunächst mit dem deutschen Lied. Seiner Ansicht nach ist das Volkslied in seinem ersten Dasein, dem bäuerlich authentischen, ausgestorben und wurde ersetzt durch sein zweites Dasein als bürgerlich repräsentatives Lied.

In seinem Hauptwerk Die vier Weltalter der Musik gibt Walter Wiora einen Gesamtentwurf der Musikgeschichte. Das erste Kapitel Ur- und Frühzeit behandelt die Jägerkultur der Steinzeit, er geht auf religiöse Rituale (Medizinmann), Sesshaftigkeit und Bestattungen ein und untersucht die Wesenszüge „urtümlicher“ Musik im Fortleben indigener Völker. Nach Wiora sind große Instrumente, wie riesige Trommeln oder Alphörner, ein Merkmal solcher Kulturen. Er versucht analytisch zwischen wirklich urtümlich primitiver Musik und reprimitivierter Musik zu unterscheiden. Dieses Zeitalter ist ergiebiger, als sich auf den ersten Eindruck vermuten lässt.

Im zweiten Kapitel untersucht er die Musik und das Musikleben in den Hochkulturen des Altertums. Über die alten jüdischen Texte und den Synagogalgesang zieht er Rückschlüsse auf die noch älteren Musikkulturen der Sumerer, Babylonier und Mesopotamier. Er untersucht den Zug zur Entsinnlichung und Verinnerlichung des Musiklebens im jüdischen und christlichen Altertum. Nach Wiora ist dies der Grund warum in orthodoxen christlichen Kirchen keine Orgeln eingesetzt werden.

Im dritten Zeitalter untersucht er Orient und Okzident und räumt der abendländischen Musik eine Sonderstellung ein, ähnlich wie sie die Griechen in Philosophie und Mathematik im Altertum hatten. Er beleuchtet die einmalige theoretische Durchdringung des Gegenstandes bei der Offenlegung von Gesetzmäßigkeiten der Musik, ohne durch Zwangsordnungen Natürliches zu verdrängen.

Im vierten Kapitel über das Weltalter der Technik und globalen Industriekultur beschreibt er die Eroberung von „Neuland“ und die Verengung bis an die Grenzen der Musik seit dem 19. Jahrhundert, beispielsweise bei Max Reger oder Claude Debussy. Teilweise entdeckt er eine Umkehrung der Gesetzmäßigkeiten des erstens Zeitalters, andernteils eine Ideologisierung, Enthumanisierung und die Auseinandersetzung damit. Der Schwerpunkt liegt hier auf den Absichten der Neuen Musik, aber bezieht den „revolutionären“ Rock mit ein. Walter Wiora billigt dem Jazz mehr als eine Mischung aus europäischer Harmonik und afrikanischer Rhythmik und Vortragsart zu.

Wiora hat zu diesem Thema auch eine mehrteilige Rundfunksendung aufgenommen, die der Bayerische Rundfunk ausstrahlte.