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Viel haben macht nicht reich.  Der ist ein reicher Mann, der alles was er hat, ohne Leid verlieren kann.

      Bedeutende Schlesier

Wer immer fröhlich ist auf Erden wird 99 Jahre werden und wer durchs Leben geht mit Schwung der ist mit 100 Jahr'n noch jung.

      

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Kolbenhyer  Moritz

*17.7.1810 in Bielitz,

† 4.1.1884 in Ödenburg (Ungarn).

 Pfarrer.

   
   
  Kolbenhyer  Moritz, * 17.7.1810 in Bielitz (Schlesien), † 4.1.1884 in Ödenburg (Ungarn).  Pfarrer.

Geboren im schlesischen Bielitz/ Bielsko-Biała, war Moritz Kolbenheyer Spross einer ungarndeutschen Tuchmacher- und Kaufmannsfamilie aus der Zips in der heutigen Slowakei. Nach einigen Jahren an der ev. Schule von Eperies (Eperjes, Prešov) – wo er vielleicht bereits seinem nur ein Jahr jüngeren, späteren Freund Gustav Heckenast begegnete – besuchte er, nur folgerichtig, das traditionsreiche ev. Lyzeum in Kesmark (Késmárk, Kežmarok). Sein Theologiestudium absolvierte er 1832-35 in Wien und Berlin, kehrte 1836 für eine Dekade als Pfarrer nach Eperies zurück und heiratete Cornelie Medgyasszay, Tochter des Wiener Großhändlers István Medgyasszay. Cornelies ungarische Familie gehörte der reformierten Kirche an – im Hause des Seelsorgers war fortan Platz für eine Verbindung aus Deutsch und Magyarisch, Lutherisch und Helvetisch.

1846 wurde Moritz Kolbenheyer auf seine zweite Pfarrstelle als Nachfolger des Superintendenten Johannes Kis nach Ödenburg/ Sopron berufen. Wie bereits in Eperies, predigte Kolbenheyer auch in Ödenburg in deutscher Sprache. Bei der Taufe seines ältesten, 1841 geborenen Sohnes Franz hatte Ferenc Pulszky Pate gestanden, der spätere Mitarbeiter des Führers der ungarischen Revolution aus den Jahren 1848/49, Lajos Kossuth.

Die Revolution berührte auch den sonst möglichst unpolitischen Kolbenheyer: Die Ereignisse in Wien und Pest veranlassten ihn im März 1848 zu einer Predigt über „das freie Wort“, seien doch Presse- und Meinungsfreiheit auch die Voraussetzung für die Freiheit der christlichen Verkündigung. Er schloss mit den Worten: „Ziehet das Schwert – das freie Wort – aus der rostigen Scheide“. Damit blieb er im Rahmen der Gesetzlichkeit und warnte bei allem Eintreten für Redefreiheit vor deren Missbrauch als „Redefrechheit“. Als jedoch im Dezember die Österreichischen Truppen einrückten, wurde Kolbenheyer als „kommunistischer Agitator“ inhaftiert – wohl aber weniger wegen seiner Predigt als vielmehr wegen seiner Bereitschaft, die Gattin von Ferenc Pulszky eine Zeitlang zu beherbergen. Durch die Vermittlung seiner Freunde – namentlich seines Schwagers, Oberst Cordon, dem Bruder des einstigen Kriegsministers – wurde er nach neun Wochen aus der Untersuchungshaft in Wien (und/ oder Pressburg) entlassen.

In den Folgejahren konzentrierte Kolbenheyer seine Fürsorge auf die ihm anvertraute Gemeinde. Als begabter Kanzelredner genoss er einen weit über Ödenburg hinausreichenden Ruf. 28 seiner Predigten erschienen im Druck. Sie sind auch aus heutiger Sicht von großer Bedeutung, denn Kolbenheyer spricht in ihnen neben theologisch-moralischen Problemen auch Aspekte des Gemeindelebens und künftige Projekte an.

Insbesondere das Schulwesen lag dem 1853 auch zum Schulinspektor ernannten Seelsorger am Herzen. Zusammen mit Josef Paul von Király sammelte Kolbenheyer im Auftrag des Distriktualkonvents in den westlichen protestantischen Ländern Gelder zur Errichtung einer Lehrerbildungsanstalt, deren Grundsteinlegung 1857 erfolgte. Seine Gemeinde verdankt Kolbenheyer das 1859 gegründete Waisenhaus und die mit Hilfe des deutschen Gustav-Adolf-Vereins ins Leben gerufene allgemeine kirchliche Hilfsanstalt der Evangelischen A.C. genauso wie den 1864 errichteten Turm der evangelischen Kirche. Für all diese Unternehmungen sammelte Kolbenheyer Gelder, führte wohl auch Honorare für seine literarische Tätigkeit und Einnahmen aus dem Verkauf seiner mehr als 60 im Druck erschienenen Werke (neben Predigten auch Gelegenheitsgedichte, Gedichtbände und Übersetzungen) „edlen Zwecken“ dieser Art zu.

Nur einmal noch trat Kolbenheyer „politisch“ in Erscheinung: Sein 1860 veröffentlichtes Sendschreiben an die evangelische Kirche beider Konfessionen in Ungarn wirbt für die Annahme des Patentes von 1859. In dieser Auseinandersetzung übertrug Kolbenheyer in seinem Denken die Anschauung vom Staat, wonach der evangelische Christ die Freiheit des Gewissens mit der Hoheit der Staatsgewalt zu vereinen habe, auf den innerkirchlichen Raum – gegen viele seiner Kollegen und noch mehr Mitglieder seiner eigenen Gemeinde. Die Zurücknahme des Patents durch die Regierung veranlasste Kolbenheyer als eine der bedeutendsten Gestalten im Luthertum jener Zeit, sich desillusioniert anderen Aufgaben zu widmen.

Neben der Tätigkeit für seine Gemeinde hatte er schon immer mit großen Theologen ausländischer Kirchen korrespondiert, auch mit Literaten und Verlegern. Seine Briefe verraten viel über seine Lebensumstände. So kannte seine zehnköpfige Familie etwa wohl auf lange Jahre zumindest keine echten Geldsorgen. Erst spekulative Geschäfte eines seiner beiden Schwiegersöhne – denen 10.000 Gulden von Kolbenheyer und das Dreifache der Summe von seinem ältesten Sohn Franz zum Opfer fielen – gepaart mit dem Hang einiger seiner jüngeren Söhne zu einem wenig soliden Lebenswandel mit teilweise hohen Schulden, sollten dies ändern. Kolbenheyer musste mehrere seiner Freunde bitten, Stipendienanträge für seine Sprösslinge zu unterstützen.

Mit seinem Freund Friedrich Hebbel, dem bedeutendsten Dramatiker des 19. Jahrhunderts, führte Kolbenheyer seit 1851 bis zu Hebbels Tod 1863 eine rege Korrespondenz. Auf Kolbenheyers Vermittlung hin, der 1855 ein Morizhöhe genanntes, ausgedehntes Gut sein Eigen nannte, sollte Gustav Heckenast in Pest Hebbels Novellen verlegen. Heckenast hatte Kolbenheyer dazu angeregt, die Toldi-Epen von János Arany aus dem Ungarischen ins Deutsche zu übersetzen. Dieser hatte sich der „schönsten Blüten der ungarischen Volksdichtung“ nur zu gerne angenommen und damit nicht nur das Lob von Hebbel und dem ebenfalls mit ihm freundschaftlich korrespondierenden Anastasius Grün geerntet. Sein eigenes lyrisches Werk wird als Gelegenheitspoesie eines Bildungsbürgers gewertet – der erste seiner drei eigenen Gedichtbände erschien erst nach dem 1870 erfolgten Tod seiner Frau. Seine Nachdichtungen und Übersetzungen indes, insbesondere der erst 1879 von Arany vorgelegte mittlere Teil der Toldi-Epen, mit dem Kolbenheyer auf Wunsch seines Sohnes Franz begann, um ihm dieses Werk nach seinem Tod 1881 zu widmen, brachten ihm den Ruf des „Nestor aller Übersetzer ungarischer Dichtungen“ ein.

Als Kolbenheyer, seit 1876 Träger des Ritterkreuzes des Franz-Joseph-Ordens, Anfang 1884 nach langer, schwerer Krankheit verstarb, verlor seine Gemeinde einen großen Kopf, der sich zeitlebens nicht hatte verbiegen lassen. Sein Eintreten für das Beibehalten der ungarischen Unterrichtssprache am Ödenburger Gymnasium wird oft als Einsatz für das Magyarentum gewertet. Tatsächlich entspringt es aber wohl eher seinem Rechtsdenken, das keiner Institution oder Gruppe jedweder Couleur zubilligte, sich Rechte anderer anzumaßen. In seiner an den Distriktualkonvent gerichteten Protestnote sprach er dem Ödenburger evangelischen Kirchenkonvent schlichtweg jegliche Kompetenz ab, in der Frage der Unterrichtssprache überhaupt zu entscheiden. Eine bewusste Stärkung des Magyarentums kann darin nicht gesehen werden – auch wenn Moritz Kolbenheyer vor allem wegen seiner Übersetzungsleistung der Literaturgeschichte von Franz Schedel-Toldy aus dem Ungarischen ins Deutsche als „Mittler“ magyarischen Geisteslebens gelten darf.

Lit.: Szabolcs Boronkai, Moritz Kolbenheyer. Ein (Nach-)Dichter an der Sprachgrenze, in: Schriftsteller zwischen (zwei) Sprachen und Kulturen. Internationales Symposium Veszprém und Budapest 6.-8. November 1995, hrsg. von Antal Mádl und Peter Motzan. München 1999, S. 75-84. – Szabolcs Boronkai, Wandlungen und Abwandlungen der ungarndeutschen Identität anhand von Leben und Werk des Moritz Kolbenheyer 1810-1884, in: Jahrbuch der ungarischen Germanistik (1998) S. 147-161. – Friedrich Gottas, Die Frage der Protestanten in Ungarn in der Ära des Neoabsolutismus. Mit besonderer Berücksichtigung der ungarländischen Deutschen, in: Südostdeutsche Semesterblätter. 16. Heft. Wintersemester 1965/66, S. 1-12. – Adalbert Hudak, Moritz Kolbenheyer (1810-1884). Ein Leben zwischen Tradition und Revolution, in: Karpatenjahrbuch 30 (1979) S. 66-76. – Margareta Kulda, Moritz Kolbenheyer und Hermann Rollett, in: biblos 50,1 (2001) S. 297-313. – Gustav Stiegler, Leichenrede bei der Beerdigung des Hochehrwürdigen Herrn Moriz Kolbenheyer, weil. evang. Pfarrer zu Oedenburg, gehalten am 7. Jänner 1884, Oedenburg 1884.

Bild: Archiv der Autorin.

        Heike  Drechsler

   
 

Quelle; " Ostdeutsche Biographie "