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Reinhold
Olesch, ordentlicher Professor für Slavische Philogogie an
der Universität zu Köln, war gewiß im In- und Ausland der
bekannteste unter den deutschen Slavisten.
Olesch wurde
in Zalenze (heute Teil von Kattowitz) geboren. Sein Vater
fiel zu Beginn des Ersten Krieges. Die Familie zog bald
darauf nach St. Annaberg/Leschnitz, Kreis Groß-Strehlitz,
um. Das oberschlesische Polnisch war seine Muttersprache;
die Mutter achtete zugleich sorgfältig auf ein gutes
Deutsch. Auf den Sohn fiel schon als Knaben die ganze
Verantwortung für die Familie. Aufstände und Kämpfe
polnischer Insurgenten nach dem Kriege erlebte er mit. Zur
Schule ging er zuerst in Neiße, später auf das berühmte
Matthias-Gymnasium in Breslau (heute Ossolineum), wo er
1930 die Reifeprüfung ablegte. Er ging dann zum Studium
der Slavischen Philologie, Phonetik, Geographie und der
antiken Sprachen, vom Sommersemester 1930 an nach Wien, wo
er vor allem bei Fürst Trubeckoj hörte; ebenso wie der ihm
eng befreundete polnische Sprachforscher W. Kuraszkiewicz
in Posen war er Schüler dieses Erneuerers der
Sprachwissenschaft.
Im Wintersemester 1931/32 studierte er
an der deutschen Universität in Prag, das ihn auch nicht
halten konnte. Seit dem Sommersemester 1932 setzte er
seine Studien bei Max Vasmer in Berlin fort, wo er im
Sommersemester 1935 mit einer Dissertation über eine
polnische Mundart in Oberschlesien (gedruckt 1937,
Nachdruck 1968) in den Fächern Slavistik, Philologie,
Allgemeine Phonetik, Geschichte und Philosophie promoviert
wurde. In der langen Schülerreihe Vasmers gehörte er zu
der mittleren Gruppe, die mit ihrem Lehrer besonders eng
verbunden war. Zu einem sehr vertrauten Verhältnis zu
Vasmer bis zu dessen Tode 1962 trug Oleschs Kenntnis des
Polnischen bei, das Vasmer liebte und fließend sprach,
weiter seine volkskundlichen Interessen sowie seine
phonetische und gleichermaßen musikalische Begabung. Durch
Vermittlung Vasmers erhielt er im Sommer 1935 ein neu
begründetes Lektorat für Polnisch an der Universität
Greifswald. Zugleich arbeitete er am Berliner Institut für
Lautforschung bei Prof. Westermann mit, wo er 1937 noch
eine Studie über „Die slavischen Dialekte Oberschlesiens“
veröffentlichen konnte. Die vor dem Kriege als
Habilitationsschrift bereits abgeschlossene Arbeit über
den „Wortschatz der polnischen Mundart von Sant Annaberg“
wurde dann aber konfisziert; nach abenteuerlichen
Schicksalen des Manuskriptes kam er dann, erst lange nach
dem Zweiten Kriege, wieder in dessen Besitz und konnte es
1958/59 in zwei Bänden veröffentlichen.
Zum Kriegsdienst
wurde er vorn ersten Tage an eingezogen und hatte ihn bis
zum letzten Tag an der Front zu leisten. Als gläubiger
Katholik und Oberschlesier wurde er mancherlei
Drangsalen ausgesetzt, fand aber auch Beschützer. Im Jahre
1939 heiratete er. Seine Familie fand sich nach der Flucht
in Bayern. Er selbst kehrte 1946 nach Greifswald zurück,
wo er 1947 zum Professor ernannt und von dort 1949 nach
Leipzig berufen wurde. 1953 konnte er durch die geschickte
Verhandlung des Historikers Th. Schieder, des Dekans der
Philosophischen Fakultät der Universität Köln, einem Ruf
dorthin folgen. Einen Ruf nach Frankfurt a.M. lehnte er
ab. Im Jahre 1963/64 war er Gastprofessor in Texas. In
Köln wurde er 1975 emeritiert. In den über zwanzig Jahren
seiner Wirksamkeit dort hat er mit einer enormen Energie
und Schaffensfreude das Kölner Slavische Institut
aufgebaut, eines der führenden Slavischen Seminare in ganz
Deutschland. Durch seine persönlichen Bekanntschaften und
Freundschaften und unermüdliche Reisen und Exkursionen in
alle slavischen Länder, verband er es mit den
Forschungsstätten der meisten slavischen Universitäten.
Vier Schüler führte er zur Habilitation. Eine große Zahl
von Schülern aus beiden Teilen Deutschlands stand weiter
mit ihm in Verbindung. Seine Forschungen galten vor allem
den slavischen Sprachen, seine weiteren Fachinteressen der
Märchenforschung und der Landeskunde.
Fragen der Phonetik,
der Akzentlehre, des Wortschatzes, standen im Mittelpunkt.
In der Leipziger Zeit standen Polonica so sehr im Zentrum
seiner Veröffentlichungen, daß man sagen kann, die
Polonistik in Deutschland trug für ein gutes Jahrzehnt
nach dem Kriege allein seinen Namen. In Köln wurde dann
bald erkennbar, daß er das große Gebiet der Slavia von der
Peripherie her eroberte: kleinere und Randsprachen
gewannen seine ganze Aufmerksamkeit: polnische Dialekte
Oberschlesiens, der tschakavische Küstendialekt des
Kroatischen, das Sorbische (in Deutschland und in Texas),
später das Kaschubische. Vor allem aber war es das (zu
Beginn des 18. Jahrhundertes ausgestorbene)
Dravänopolabische des hannoverschen Wendlandes, das er
seit 1963 in mehreren Monographien und über 40 Aufsätzen
erforschte. Zahlreiche, seit langem heftig umstrittene und
für unlösbar geltende Fragen, hat er gelöst, das gesamte
noch verfügbare Quellenmaterial ediert. Eine ähnlich
monumentale Leistung ist das vielbändige Wörterbuch des
Tschakavischen. Anderen slavischen Sprachen gelten über 80
Aufsätze. An mehreren wissenschaftlichen Reihen und
Zeitschriften ist er als Herausgeber beteiligt. Seine
Hauptleistung aber sind die von ihm begründeten „Slavistischen
Forschungen“, in denen seit 1962 über 60 Bände erschienen
sind.
Besondere
Beachtung verdienen die „Mitteldeutschen Forschungen“, die
er zusammen mit Walther Schlesinger und Ludwig Erich
Schmitt von 1954 bis 1988 herausgab; unter seiner Leitung
erschienen 99 Bände. Mit dem (Landes-)Historiker und dem
Germanisten war schon in Leipzig diese fruchtbare
Zusammenarbeit begonnen worden, die dann unter günstigen
Bedingungen von Köln aus recht entfaltet wurde. Es waren
Arbeitskraft, Organisationsgabe und Einsatz von R. Olesch,
durch die mitteldeutsche Forschungen in dieser besonderen
Konstruktion in der Bundesrepublik Deutschland eine
günstige Entwicklung über mehr als 30 Jahre nehmen
konnten. Persönlichkeit und Leistung von R. Olesch fanden
vielfache Anerkennung, vor allem im Ausland:
Ehrenbürgerschaft des Staates Texas 1964; 1973 verlieh ihm
die Universität Posen den Titel eines Dr. h. c.; 1974
wurde er korrespondierendes Mitglied der Jugoslavischen
Akademie der Wissenschaften in Agram (Zagreb); 1975
korrespondierendes Mitglied in der Accademia Adamo
Mickiewicz di Storia e Litteratura Polacca e Slava in
Bologna; 1980 Ausländisches Mitglied der Polnischen
Akademie der Wissenschaften in Warschau; 1977 ordentliches
Mitglied des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates in
Marburg a.d. Lahn; und 1988 Dr. h. c. der Philosophischen
Fakultät der Universität Sofia. Die deutsche Wissenschaft
verdankt R. Olesch viel: in seinem Fach, der Slavischen
Philologie, in der unbeirrten Vertretung der freien
Wissenschaft für mitteldeutsche Forschungen, in der
Organsierung und Repräsentierung der deutschen Slavistik
nach außen. Sie hat es ihm mit einem Gedenkband 1983
(Bausteine zur Geschichte der Literatur bei den Slaven 18)
sowie zwei Festschriften, die zu seinem 80. Geburtstag
erscheinen werden, zu danken gesucht.
Schriftenverzeichnis in der Festschrift „Untersuchungen
zur slavischen Sprach- und Kulturgeschichte“ (Slavistische
Forschungen Bd. 60) Köln 1989 enthalten, Schriften:
Gesammelte Aufsätze I: Draveno-Polabica; II: Cetera
Slavica (=Slawische Forschungen 59 I-II), Köln 1989.
Lit.: Henryk Borek, Siedemdziesiata piata rocznica urodzin
prof. dra h. c. Reinholda Olescha, in: Kwartalnik Opolski,
Jg. 31, 1985 Nr. 3/4, S. 41-43.
Hans Rothe
Quelle;
"
Ostdeutsche Biographie" |
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