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Nach Absolvierung des humanistischen Gymnasiums studierte
Adolf Gottstein als Sohn eines Kaufmannes in Breslau, Straßburg und
Leipzig Medizin, legte im Jahr 1880 das Staatsexamen ab und wurde 188l
mit einer unbedeutenden Dissertation über marantische Thrombose zum
Doktor der Medizin promoviert.
An das Studium der Heilkunde schloß sich der einjähnge
Militärdienst an, nach dessen Beendigung im Jahre 1882 Adolf Gottstein
als Assistent in das städtische Wenzel-Hancke-Krankenhaus zu Breslau
eintrat. Dort bot sich ihm die Gelegenheit zur Weiterbildung in den
Bereichen Chirurgie, Anatomie und klinische Chemie. Des weiteren
beschäftigte sich Adolf Gottstein mit der Erforschung der Tuberkulose,
und seine damaligen Arbeiten zur klinischen Bakteriologie
sind ebenfalls rühmend zu erwähnen.
Im Jahre 1883 verlobte sich Adolf Gottstein und gab mit
der Absicht, eine Privatpraxis zu gründen, seine Assistenztätigkeit in
Breslau auf. Zur Vervollkommnung seiner gynäkologischen und
geburtshilflichen
Kenntnisse wechselte er anschließend nach Berlin über.
Nach einigen Monaten faßte er den Entschluß, sich in der
Reichshauptstadt niederzulassen. Im Januar 1884 nahm Adolf Gottstein am
Halleschen Tor zu Berlin privatärztliche Tätigkeit auf, die er 27 Jahre
lang – bis zum Jahre 1911 – ausüben sollte. In diese Zeit fallen zwei
wichtige Ereignisse im Leben des Arztes, nämlich 1885 die Verheiratung
mit Emilie Meffert, der Tochter des Direktors eines Realgymnasiums,
sowie sieben Jahre später die Konversion von der jüdischen zur
christlichen Religion: Ab 1892 war Adolf Gottstein Angehöriger der
evangelischen Konfession.
Großer Beliebtheit erfreute sich damals der Arzt bei den
ärmeren und mittellosen Patienten, denen er häufig die Zahlung eines
Honorars erließ. Dieses soziale Engagement war ein Grund für die
ungünstige finanzielle Lage Adolf Gottsteins, die sich erst ab 1900
verbesserte; ein weiterer war die Notwendigkeit, die Kosten für seine
wissenschaftliche Arbeit, die er sogar als praktizierender Arzt nicht
aufgab, selbst zu tragen.
Im Mittelpunkt der Forschungen Adolf Gottsteins, die
einen beträchtlichen Teil der Freizeit des Gelehrten in Anspruch nahmen,
standen immer wieder bakteriologische Probleme. So arbeitete er
beispielsweise im Labor des Pathologen Carl Friedländer, unterstützte
diesen in der Herausgabe der wichtigen Fachzeitschrift Fortschritte
der Medizin, richtete sich selbst ein kleines Laboratorium ein, wo
er Versuche zur Färbungstechnik durchführte, widmete sich im Institut
des bekannten Pharmakologen Oscar Liebreich der Untersuchung des
Tuberkelbazillus und erzielte in Zusammenarbeit mit Robert Koch
bedeutende Forschungsergebnisse.
Neben der Bakteriologie standen epidemiologische,
statistische und sozialhygienische Fragen im Zentrum des
wissenschaftlichen Interesses Adolf Gottsteins, des bereits über die
Grenzen der Reichshauptstadt hinaus berühmten Arztes und Gelehrten, der
in zahlreichen Artikeln und Beiträgen für medizinische Zeitschriften und
Sammelwerke sowie für einschlägige Handbücher die Ergebnisse seiner
Arbeit niederlegte.
Als Sozialhygieniker mit großer wissenschaftlicher
Reputation wurde Adolf Gottstein 1906 zum Mitglied des Charlottenburger
Magistrats ernannt. In dieser Position konnte der erfahrene Praktiker
seine Vorstellungen von der Gesundheitsfürsorge und der Kommunalhygiene
in die Entscheidungsprozesse des Stadtparlaments einbringen. Adolf
Gottsteins gesundheitspolitisches Wirken war so erfolgreich, daß man ihn
im Jahre 1911 zum besoldeten Charlottenburger Stadtmedizinalrat berief;
drei Jahre später erhielt er dann den Titel „Geheimer Sanitätsrat“ und
1919 das Amt eines Ministerialdirektors. Damit war die Leitung des
gesamten preußischen Medizinalwesens, die er bis 1924 innehatte, und die
aktive Gestaltung der Gesundheitspolitik des Landes verbunden. Die
Ernennung zum preußischen Ministerialdirektor markiert den Aufstieg
Adolf Gottsteins von einem auf kommunaler Ebene tätigen Medizinalrat zu
einem Gesundheitspolitiker mit landesweitem Einfluß, den er auch in
hohem Maße geltend machte.
So wurden beispielsweise in seiner Amtszeit
fortschrittliche und an neuesten Erkenntnissen der medizinischen
Wissenschaften orientierte Gesetzeswerke verabschiedet: Zu nennen sind
in diesem Zusammenhang das Krüppelfürsorge-, das Tuberkulose- und das
Hebammengesetz. Des weiteren ging die Gründung dreier moderner
Akademien für Sozialhygiene sowie des Preußischen Landesgesundheitsrates
auf die Initiative Adolf Gottsteins zurück.
Der schlesische Heilkundler Adolf Gottstein machte sich
auf Grund seiner weitgefächerten medizinischen Kenntnisse sowie seines
gesellschaftlichen und medizinalpolitischen Engagements um das
Wohlergehens der einzelnen Patienten ebenso verdient wie um die
Förderung des preußischen Gesundheitswesens. Adolf Gottstein vereinte in
seinem Handeln als Arzt und hoher Beamter in hervorragender Weise die
Sorge um das Wohlergehen des ihn konsultierenden kranken Mitmenschen mit
dem Bemühen, die Gesundheit aller Staatsuntertanen mit Hilfe
parlamentarischer und verwaltungspolitischer Maßnahmen zu erhalten oder
wiederherzustellen.
Lit.:
Eine wichtige Quelle für das Leben und das Werk Adolf
Gottsteins ist dessen Autobiographie: Adolf Gottstein, in: Die
Medizin der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hrsg. von L[ouis] R[]
Grote, IV, Leipzig 1925, S. 53-91 (mit einem Verzeichnis wichtiger
Schriften und dem oben reproduzierten Porträt Adolf Gottsteins); –
Ausgewählte Sekundärliteratur: [Anonym]: Gottstein, Adolf, in:
Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig
Jahre. Zugleich Fortsetzung des Biographischen Lexikons der
hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, hrsg. von I[sidor]
Fischer, I, Berlin, Wien 11932, S. 521f.; – [Anonym]:
Gottstein, Adolf, in: Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des
neunzehnten Jahrhunderts. Mit einer historischen Einleitung, hrsg. von
J[ulius] Pagel, Berlin, Wien 1901, Sp. 618f.; – H[] Betke: Adolf
Gottstein zum Gedächtnis des 100. Geburtstages am 2. November 1957, in:
Klinische Wochenschrift 35 (1957), S. 1147f.; – Wilhelm Katner:
Gottstein, Adolf, Leiter des preuß. Gesundheitswesens, in: Neue Deutsche
Biographie, Bd. 6, Berlin 1964, S. 688f.; – P[] Schneck: Adolf Gottstein
(1857-1941) und die Hygiene in Berlin. Eine Einführung zu seinem Aufsatz
„Berlins hygienische Zustände vor 100 Jahren“, in: Zeitschrift für die
gesamte Hygiene und ihre Grenzgebiete 33 (1987), H. 10, S. 4-6; –
Manfred Stürzbecher: Adolf Gottstein als Gesundheitspolitiker, in:
Medizinische Monatsschrift 13 (1959), S. 374-379; – ders.: Adolf
Gottstein: sozialhygienische Akademien 1920, in: Deutsches medizinisches
Journal 21 (1970), S. 1372-1374.
Werner Gerabek
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