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Johannes Ziekursch wurde
als Sohn eines Breslauer
Kaufmanns geboren und
verlebte seine Jugend- und
Schulzeit in seiner
Vaterstadt.
Nach dem
Abitur zu Ostern 1896
bezog er im Sommersemester
desselben Jahres die
Universität Bonn,
wechselte dann nach
Breslau, wo er auch seinen
einjährig-freiwilligen
Militärdienst ableistete,
und von da nach München.
Dort wurde er Ende 1900
mit einer von Karl Theodor
von Heigel angeregten
Arbeit über Die
Kaiserwahl Karls VI.
(1711), erschienen in
Gotha 1902, zum Dr. phil.
promoviert. Nach
Archivstudien in Rom,
Dresden und Breslau
habilitierte sich
Ziekursch im Frühjahr 1904
in Breslau mit der Schrift
Sachsen und Preußen um
die Mitte des 18.
Jahrhunderts. Ein Beitrag
zur Geschichte des
Österreichischen
Erbfolgekrieges
(Breslau 1904) für
mittlere und neuere
Geschichte. Seit dem
Sommersemester desselben
Jahres wirkte er an der
Schlesischen
Friedrich-Wilhelms-Universität
als Privatdozent.
In den folgenden Jahren
hat sich Ziekursch
intensiv mit der
Schlesischen Geschichte,
namentlich der
Verwaltungs-, Stadt- und
Agrargeschichte zwischen
1740 und 1850 beschäftigt.
Der Ertrag davon schlug
sich insbesondere in drei
bedeutsamen Studien
nieder: Beiträge zur
Charakteristik der
preußischen
Verwaltungsbeamten in
Schlesien bis zum
Untergang des
friderizianischen Staates
(Breslau 1907), Das
Ergebnis der
friderizianischen
Städteverwaltung und die
Städteordnung Steins. Am
Beispiel der schlesischen
Städte dargestellt
(Jena 1908) und Hundert
Jahre schlesischer
Agrargeschichte vom
Hubertusburger Frieden bis
zum Abschluß der
Bauernbefreiung
(Breslau 1915). Die
zuletzt genannte Arbeit
gilt als die bedeutendste
Forscherleistung des
Gelehrten. Die 443 Seiten
starke Schrift beruht auf
eingehenden Einzelstudien,
die nirgends bei der
Gesetzgebung stehenbleiben,
sondern zu der Vielfalt
des ländlichen Lebens in
Preußisch-Schlesien
vordringen. Die amtliche
Statistik konnte Ziekursch
in vielem korrigieren.
Die genannten drei Bücher,
für die der Verfasser vor
allem aus den Beständen
des Breslauer
Staatsarchivs geschöpft
hatte, ließen Idee und
Wirklichkeit des
friderizianischen Preußen
weit auseinanderklaffen,
was bei der mit der
Erforschung der
Preußischen Geschichte
beschäftigten Fachhistorie
Widerspruch hervorrief,
wobei die Agrargeschichte
noch am ehesten
Anerkennung fand. Man
wandte etwa ein, daß
Ziekursch seine
schlesischen Ergebnisse zu
Unrecht verallgemeinere.
Hinsichtlich der
Friederizianischen
Städteverwaltung
äußerte Otto Hintze den
Eindruck, der Autor neige
zur Karikatur, und warf
ihm vor, daß er in der von
ihm geübten "Kleinmalerei"
die harten politischen
Notwendigkeiten des um die
Behauptung im Mächtesystem
ringenden Preußen zu wenig
berücksichtigt habe.
Es mag mit dieser
Außenseiterposition in der
Preußenfrage, die noch so
viel mit der staatlichen
Wirklichkeit Deutschlands
zu tun hatte,
zusammenhängen, daß
Ziekursch, der im übrigen
politisch als linksliberal
galt, im Ersten Weltkrieg
trotz bemerkenswerter
Lehrerfolge und
gehaltvoller
Veröffentlichungen noch
immer Extraordinarius war.
Dabei zeigte er während
des Krieges eine
ausgesprochen patriotische
Haltung. Im Frühjahr 1917
verlieh ihm das
Kultusministerium ein
sogenanntes persönliches
Ordinariat, das mit
gegenüber bisher
unveränderten
Dienstbezügen verbunden
war.
Die Niederlage
Deutschlands im Ersten
Weltkrieg und das Ende er
Monarchie erschütterten
Ziekursch so sehr, daß er
sich in der Folgezeit der
wissenschaftlichen
Beschäftigung mit der
Geschichte des
Bismarckreiches widmete.
Politisch wandelte er sich
vom liberalen Monarchisten
zum Republikaner und trat
der linksliberalen
Deutschen Demokratischen
Partei (DDP) bei. Die
Frucht seines Ringens mit
der jüngsten deutschen
Geschichte war sein
dreibändiges Hauptwerk
Politische Geschichte des
Neuen Deutschen
Kaiserreiches (Bd. I:
Die Reichsgründung, Bd.
II: Das Zeitalter
Bismarcks, Bd. III: Das
Zeitalter Wilhelms II.),
erschienen in Frankfurt
a.M. (Societätsverlag)
zwischen 1925 und 1930.
Namentlich im ersten Bande
bewährte der Verfasser
seinen durchaus
fruchtbaren Blick für die
Kehrseite der preußischen
Medaille und gewann damit
den innenpolitischen
Grundlagen der
Reichsgründung (etwa mit
Hilfe von Wahlstatistiken)
manche neue Einsicht ab.
Er legte seinen
Ausführungen aber die
irrige These zugrunde, daß
Bismarck das Reich im
Widerspruch zu den Kräften
der Zeit gegründet habe
und daher das Scheitern
seines Werkes in diesem
selbst angelegt gewesen
sei. Ziekursch
überschätzte damit die
Stärke des deutschen
Liberalismus sowie dessen
Modernität und übersah,
daß er nach dem Maße
seiner Kräfte durchaus in
das neue Reich Eingang
gefunden hatte, wobei
dieses auch im übrigen in
nicht wenigen Zügen auf
der Höhe der Zeit stand.
Ziekursch meinte, daß "die
Dinge ganz anders hätten
verlaufen können" und
gelangte damit zu einer
politisch-unhistorischen
Betrachtungsweise. "Wir
sind in der Historie
leider nicht in der Lage,
Experimente zu machen",
bemerkte Fritz Hartung
treffend, "die Lage vom
September 1862 wieder
herzustellen und zu
prüfen, wie sich die
preußich-deutsche
Entwicklung gestaltet
haben würde, wenn nicht
Bismarck gekommen wäre,
sondern der König
abgedankt hätte."
Ziekursch hatte einen
neuralgischen Punkt der
überwiegend
deutschnationalen
Historikerzunft berührt:
Gerade vor dem Hintergrund
der Katastrophe des
Novembers 1918 wollte und
konnte man am Werk
Bismarcks nicht rühren
lassen (ob nun die
vorgebrachten Argumente
schlagend waren oder
nicht). Deshalb stießen
Ziekurschs für ein
breiteres Publikum
bestimmte Bände sowohl
seitens der Zunft als auch
der öffentlichen Meinung
auf starke Ablehnung.
Dadurch sah sich der
Autor, immer noch ohne
Lehrstuhl in Breslau, auch
in seiner akademischen
Karriere behindert.
Endlich wurde er im Herbst
1927 als Ordinarius nach
Köln berufen (obwohl er
nicht der Kandidat der
dortigen Fakultät war, so
wie ihn die in Berlin und
zuvor die in Halle
abgelehnt hatte). Er
verdankte seinen Lehrstuhl
dem Kultusministerium und
dem Vorsitzenden des
Kuratoriums der
Universität, dem Kölner
Oberbürgermeister
Adenauer, die mit ihm in
der Fakultät ein
wissenschaftliches und ein
politisches Gegengewicht
zu dem konservativen
Historiker Martin Spahn
(über diesen siehe S.
140-142) installieren
wollten.
In Köln verbrachte
Ziekursch den letzten
Abschnitt seines gelehrten
Lebens, das freilich bald
durch die
Nationalsozialisten
überschattet wurde, die
ihn aber immerhin im
Lehramt beließen.
Schriftstellerisch trat er
kaum noch hervor, nachdem
der dritte Band seiner
Politischen Geschichte des
Neuen Deutschen
Kaiserreiches nach
1933 nicht mehr hatte
ausgeliefert werden
dürfen. In seinen letzten
Lebensjahren hat er noch,
wohl in Anknüpfung an
seine früheren Arbeiten,
an einem Manuskript über
Friedrich den Großen
gearbeitet, das zu seinem
Schmerz mit seiner
gesamten Habe als Folge
eines Luftangriffs auf
Köln im Frühjahr 1944
zugrundeging. Krank und
früh gealtert, hat
Ziekursch das Kriegsende
nicht überlebt. Wie Peter
Rassow, sein Kollege in
Köln, 1950 in einem
Nachruf in der
Historischen Zeitschrift
schrieb, hatte er bis 1943
seine Lehrtätigkeit
unbeirrt fortgesetzt,
"auch nach 1933 lehrend ,
was er von je gelehrt
hatte." Er sei "ein klarer
Charakter, als Mensch wie
als Gelehrter", gewesen,
"nicht schillernd oder
schielend, sondern
eindeutig und feststehend
auf dem Boden der
Überzeugung, die er sich
selbst erarbeitet hatte."
Weitere Werke:
Ludendorffs
Kriegserinnerungen; in:
Historische Zeitschrift
121 (1920), S 441-465. -
Falkenhayn und Ludendorff
in den Jahren 1914-1916;
in: Forschungen zur
Brandenburgischen und
Preußischen Geschichte 34
(1922), S. 49-77. - Zur
Geschichte des Feldzuges
in der Champagne von 1792;
ebenda 47 (1935), S.
20-77.
Lit.: Hans
Schleier: Die bürgerliche
deutsche
Geschichtsschreibung der
Weimarer Republik, (Ost-)Berlin
1975, S. 399-451. -
Karl-Georg Faber: Johannes
Ziekursch; in: Deutsche
Historiker, hrsg. von
Hans-Ulrich Wehler, Bd.
III, Göttingen 1972, S.
109-123.
Bild: nach Hans
Schleier (s.o.).
Peter Mast
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