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Schilderungen von
Carl Gottlieb Svarez,
dem „Vater des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten“ von
1794, lesen sich regelmäßig wie eine Aufzählung der klassischen
preußischen Beamtentugenden:
Sachkenntnis, Intelligenz, Fleiß, Sparsamkeit, Loyalität und
grenzenloses Pflichtbewußtsein in
dienstlichen Angelegenheiten, Anspruchslosigkeit und Unscheinbarkeit
in eigener Sache sollen die Eigenschaften gewesen sein, die es ihm
ermöglichten, die Hauptlast der Justiz- und Rechtsreform Preußens im
letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu tragen.
So typisch wie diese
Charakterzüge für einen preußischen Beamten seiner Zeit waren, so sehr
war Svarez auch durch seine äußeren
Lebensdaten für eine Verwaltungskarriere vorbestimmt: Als Sohn
des zunächst wohlhabenden, später durch die Wirren der Schlesischen
Kriege verarmten, früh verstorbenen Schweidnitzer Advokaten Gottfried
Svarez – einer latinisierten Fassung des ursprünglichen Familiennamens
Schwartz – geboren, besuchte er 1755 bis 1762 die Lateinschule seiner
Heimatstadt. Bereits hier machte er Bekanntschaft mit dem
Naturrechtssystem Christian Wolffs, das für ihn lebenslang prägend
werden sollte. Sechzehnjährig begab sich Svarez zum Studium der
Rechtswissenschaft an die Universität Frankfurt an der Oder, wo er
vornehmlich den Wolff-Schüler Joachim Georg Darjes sowie Johann Samuel
Friedrich von Böhmer hörte. Seine 1773 mit der Beamtentochter Johanna
Dorothea Arndt geschlossene Ehe blieb kinderlos.
Noch während Svarez sich im
juristischen Vorbereitungsdienst befand, wurde der damalige schlesische
Justizminister Johann Heinrich Casimir von Carmer auf ihn aufmerksam und
begann, ihn zu Arbeiten an der Neuordnung der schlesischen Verwaltung
heranzuziehen. Durch die Schaffung eines für ganz Preußen vorbildlichen
landwirtschaftlichen Kreditsystems, die Reform des bis dahin in der Hand
des Jesuitenordens liegenden schlesischen Schulsystems und die
umfassende Revision der Justizverfassung konnte Svarez so frühzeitig die
organisatorischen und gesetzgeberischen Erfahrungen sammeln, die er zur
Verwirklichung seiner späteren Werke benötigte.
Ein erster Anlauf, Friedrich
den Großen von einer Ausdehnung der schlesischen Prozeßrechtsreform auf
ganz Preußen zu überzeugen, scheiterte. Doch schon der berühmte
Müller-Arnold-Prozeß von 1779, der zur Entlassung des Großkanzlers von
Fürst und zur Ernennung von Carmers zu dessen Nachfolger führte, ebnete
hierfür den Weg. 1780 folgte Svarez von Carmer nach Berlin, um dort mit
diesem und Ernst Ferdinand Klein fünfzehn Jahre lang im Trossel’schen
Palais vor dem Königstor (am heutigen Alexanderplatz) in einer wohl
einzigartigen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft die Gesetzeswerke zu
schaffen, die ihm bis heute einen Platz in der europäischen
Rechtsgeschichte sichern: Das Corpus Iuris Fridericianum von
1781, das durch die weitgehende Beseitigung der Anwaltschaft im
herkömmlichen Sinne und die Einführung des Ermittlungsgrundsatzes auch
im Zivilprozeß der Prozeßverschleppung begegnete – 1795 in
überarbeiteter Form als Allgemeine Gerichtsordnung neu
veröffentlicht –, das Eheedikt von 1782, sowie die Deposital-
und Hypothekenordnungen von 1783/85 waren erste Schritte auf dem Weg
zur angestrebten Rechtseinheit Preußens. Krönung der
Kodifikationsbemühungen aber sollte ein Gesetzbuch sein, das nicht nur
das gesamte Privatrecht, sondern auch alle anderen Rechtsgebiete mit
Ausnahme des Prozeßrechts, vor allem auch das Verhältnis zwischen Staat
und Bürger, regelte. 1784 bis 1788 entstand daher auf der Grundlage des
von Samuel von Pufendorf und Christian Wolff entwickelten
Naturrechtssystems ein Allgemeines Gesetzbuch (AGB) für Preußen,
das in bis dahin nie dagewesener Weise zur öffentlichen Diskussion
gestellt und, nach Einarbeitung der eingegangenen
Verbesserungsvorschläge, 1791 publiziert wurde. Fast noch deutlicher als
im AGB spiegelte sich das Glaubensbekenntnis seiner Verfasser zur
Aufklärung in den Kronprinzenvorträgen, die Svarez dem späteren
Friedrich Wilhelm III. 1791 und 1792 hielt sowie in seinen Vorträgen vor
der Berliner Mittwochsgesellschaft.
Zu dem für 1792 geplanten
Inkrafttreten des Gesetzbuches kam es jedoch nicht, da König Friedrich
Wilhelm II. es auf Betreiben reaktionärer Kräfte unter dem Eindruck der
Französischen Revolution kurz zuvor suspendierte. Doch blieben die
Reformbemühungen von Svarez und von Carmer nicht auf Dauer erfolglos.
Die zweite Polnische Teilung von 1793, die Preußen vor die Notwendigkeit
stellte, die neu erworbenen Gebiete auch rechtlich zu prussifizieren,
eröffnete den Weg dafür, das Gesetz nach einer erneuten Revision des
Gesetzestextes und der Entfernung aller beanstandeten Stellen unter dem
traditionelleren Namen Allgemeines Landrecht für die Preußischen
Staaten (ALR) am 5. Februar 1794 erneut zu publizieren und wenig
später in Kraft treten zu lassen. Kennzeichen der 19.199 Paragraphen des
ALR ist neben dem stark kasuistischen Aufbau die klare, wenig abstrakte
Sprache, in der auf Grund einer durchaus schon rechtsstaatlichen
Konzeption der preußische Ständestaat des ausgehenden 18. Jahrhunderts
mit allen seinen Rechtsproblemen erfaßt wurde. Obwohl das ALR nicht nur
viele Rechtsgebiete erstmals einheitlich kodifizierte, sondern auch
viele Forderungen des Liberalismus vorwegnahm, war es doch schon bald
heftiger Kritik, insbesondere durch die Historische Rechtsschule unter
Friedrich Carl von Savigny, ausgesetzt, da es als zu sehr der
Vergangenheit verpflichtet und gleichzeitig zu wenig wissenschaftlich
fundiert galt. Dennoch bleibt es aber das unbestreitbare Verdienst des
ALR, in Preußen ein Maß an Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit
geschaffen zu haben, wie es andere deutsche Staaten erst Jahrzehnte
später erreichen sollten.
Nach der Vollendung seines
Lebenswerkes waren Svarez’ Kräfte durch die ungeheure
jahrzehntelange Arbeitslast nahezu aufgezehrt. Die wenigen ihm noch
verbleibenden Jahre widmete er – an seine früheren Aufgaben in Schlesien
anknüpfend – der Neuorganisation der Justiz und des landwirtschaftlichen
Kreditwesens in den an Preußen gefallenen polnischen Gebieten sowie den
Vorarbeiten für eine Strafprozeßrechtsreform und ein märkisches
Provinzialgesetz. Im April 1798 berief Friedrich Wilhelm III. seinen
früheren Lehrer in die Akademie der Wissenschaften – eine Ehre, die ihm
zuvor auf Grund politischer Intrigen verwehrt geblieben war –, doch kam
es nicht mehr zu einer Amtseinführung, da Svarez bald darauf nach
sechswöchigem Krankenlager einem Unterleibsleiden erlag. Er wurde auf
dem Luisenstädtischen Kirchhof in Berlin bestattet.
Lit.: I.K. Ahl. Svarez, Carl Gottlieb, in: Juristen. Ein
Biographisches Lexikon hg. von M. Stolleis, 1995, S. 598-600. – H.
Hattenhauer/G. Bernert (Hg.), Allgemeines Landrecht für die Preußischen
Staaten, 3. Aufl. 1996, S. 4-7. – G. Kleinheyer/J. Schröder, Carl
Gottlieb Svarez, in: Deutsche und Europäische Juristen aus neun
Jahrhunderten, 4. Aufl. 1996, S. 413-417. – R. Stintzing/E. Landsberg,
Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft III/1, 1898, S. 469f. – A.
Stölzel, Carl Gottlieb Svarez, 1885. – H. Thieme, Svarez, Carl Gottlieb,
in: Handwörterbuch zur Dt. Rechtsgeschichte V, 1991, Sp. 97-100. –
Allgemeine Dt. Biographie 37, 1971,
S. 247-256. [Wippermann]. –
E. Wolf, Carl Gottlieb Svarez, in: Große Rechtsdenker, 4. Aufl. 1963, S.
425-464.
Bild:
Gipsbüste von Melchior zur Strassen, Staatsbibliothek Berlin.
Ina Ebert |
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