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Viel haben macht nicht reich.  Der ist ein reicher Mann, der alles was er hat, ohne Leid verlieren kann.

         Bedeutende Schlesier

Wer immer fröhlich ist auf Erden wird 99 Jahre werden und wer durchs Leben geht mit Schwung der ist mit 100 Jahr'n noch jung.

      

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Gertrud Gräfin von Schack

* 9. November 1845 in Uschütz,

                                 † 20. Mai 1903 in Surbiton,

Frauenrechtlerin und Sozialaktivistin.

       
 

Gertrud Gräfin von Schack (Guillaume-Schack), * 9. November 1845 zu Uschütz, Kreis Rosenberg OS.† 20. Mai 1903 in Surbiton, Großbritannien

Zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählte Uschütz mit 1365 Einwohnern zu den bevölkerungsreichsten Dörfern im Kreis Rosenberg. Die meisten Einwohner waren auf dem dortigen Dominium verpflichtet.

 

 Eigentümer des 1.787 ha großen Ritterguts war damals Alexander Graf Schack von Wittenau, verehelicht mit Elisabeth Gräfin von Königs-dorff. Am 9. November 1845 bekam die herrschaftliche Familie Zuwachs,  eine Tochter namens Gertrud. Noch konnte die junge Erden-bürgerin nicht ahnen, welch dunkle Wolken sich über dem heimatlichen Himmel in den kommenden Jahren zusam-menbrauen würden.

 

 Während in Niederschlesien schon der Weberaufstand losgebrochen war, erreichten 1848 — ein Jahr nach der verheerenden Hungersnot — die sozialen Unruhen auch den Kreis Rosenberg. Proteste der Bauern gegen die erdrückende Pflichten- und Abgabenlast uferten vielerorts in Plünderungen, Zerstörungen, ja sogar Totschlag aus, wie z. B. im unweit gelegenen Dorf Rosen im Nachbarkreis Kreuzburg. In Teilen des Kreises Rosenberg rief der Oberpräsident von Schlesien den Belagerungszustand aus. 1852 grassierte in Landsberg und Umgebung die Cholera. 1854 zogen schwere Unwetter übers Land, Wiesen und Felder standen unter Wasser. So ließe sich die Liste der unheilvollen Ereignisse beliebig fortsetzen.

 

 Ohne Zweifel läßt sich heute feststellen, daß die Schrecknisse jener Jahre nicht spurlos an der heranwachsenden Gräfin Gertrud vorbeigegangen sind. Ihre Beobachtungsgabe und kritische Haltung gegenüber dem Zeitgeschehen sollen in ihrem späteren sozialen und politischen Wirken noch hörbaren Niederschlag finden. Doch bis dahin verschickten die Eltern ihre Tochter auf ein Rittergut in Nieder-Poppschütz im Kreis Freystadt, welches damals vermutlich der Familie von Schönborn gehörte. Im welchen Alter die junge Gertrud Uschütz verließ, darüber schweigen die Quellen.

 

 Anfang der 1870er Jahre lernte Gertrud von Schack den Künstler Edouard Guillaume kennen, einen Bruder des schweizerischen Anarchisten und Schriftstellers James Guillaume. 1877, in Les Verrierčres (Kanton Neuchátel), heirateten Gertrud und Edouard, und zogen bald nach Paris. Dort nahm die frischvermählte Adelstochter rasch Verbindung mit der abolitionistischen (hier den Kampf gegen die Prostitution betreffend) Bewegung auf. An der Seite der Initiatorin dieser Bewegung, der britischen Sozialreformerin Josephine Elisabeth Butler, engagierte sie sich im Kampf gegen die sexuelle Doppelmoral.

 

 1879, nach nur zwei Jahren Ehe, trennte sich die Gräfin von ihrem Gatten, und kehrte, im Alter von 34 Jahren, nach Deutschland zurück. Ein Jahr später, als Erste im Land, sprach sich die politisch zunehmend aktive und bekennende Sozialistin öffentlich gegen die Reglementierung der Prostitution aus. Noch im selben Jahr, am 7.3.1880, gründete sie in Berlin den „Kulturbund zur Abschaffung der behördlich konzessionierten Prostitution“, als deutsche Dependance der von Josephine Butler mitinitiierten „IAF“ (Internationale Abolitionistische Föderation).

 

 In derselben Zeit, in Berlin, kämpfte gegen soziale Mißstände eine weitere Aktivistin aus Schlesien, Lina Morgenstern, eine gebürtige Breslauerin. Sie war die Begründerin der „Berliner Volksküchen“ und zählte bereits zu den bekanntesten Frauen in der Reichshauptstadt. Rein zufällig traf sie die Gräfin aus Uschütz, und aus deren Begegnung erwuchs ein weiteres Projekt. Nach Eröffnung der Berliner S-Bahn-Station „Börse“ heute Bahnhof „Hackescher Markt“ im Jahre 1882 gründeten die beiden Schlesierinnen eine Bahnhofsherberge für Dienstboten. Tausenden von Mädchen aus der Provinz, die auf der Suche nach Arbeit jährlich nach Berlin angereist kamen, bot die neue Herberge eine sichere, erste Zuflucht.

 

 In den Folgejahren rief Gertrud Guillaume-Schack, in Zusammenarbeit mit anderen Mitstreiterinnen, weitere Frauenvereine ins Leben, so z. B. 1885 den Berliner „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“, und zwischen 1886 und 1887 gleichlautende Zusammenschlüsse in mehreren schweizerischen Städten. 1886 begann die kämpferische Gräfin in Offenbach am Main mit der Herausgabe der sozialistisch orientierten Frauenzeitung „Die Staatsbürgerin“, die aber schon nach einem halben Jahr von den Behörden auf den Index gesetzt wurde. Verboten wurde ebenso im sechsten Jahr seines Bestehens der 1880 gegründete „Kulturbund…“.

 

 Unter Anwendung des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ (Sozialistengesetz) erhielt Gräfin Guillaume-Schack schließlich den Ausweisungsbescheid. Sie ging nach London. 1887 schloß sie sich dort für wenige Jahre der Sozialisten-Liga an. Um die Jahrhundertwende folgte der Beitritt zu einer theosophischen Gesellschaft.

 

 Ermüdet von ihrem Kampf für die soziale Gerechtigkeit und  nach fast 20 Jahren im Exil verstarb Gräfin Gertrud Guillaume-Schack am 20. Mai 1903 vereinsamt in Surbiton.

 

 In ihrem Geburtshaus, dem Uschützer Schloß, befindet sich heute ein Kinderheim, eine Einrichtung, die sicherlich auch der Gräfin gefallen hätte.

 

Christian Weidel (Göttingen)

 

 
 

Quelle; Biographisches Archiv ROSENBERG O/S