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Viel haben macht nicht reich.  Der ist ein reicher Mann, der alles was er hat, ohne Leid verlieren kann.

         Bedeutende Schlesier

Wer immer fröhlich ist auf Erden wird 99 Jahre werden und wer durchs Leben geht mit Schwung der ist mit 100 Jahr'n noch jung.

      

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Lemberg  Max Rudolf

* 19.10.1896 in Breslau

† 10.04.1975 in Sydney

Biochemiker.

   
 

Max Rudolf Lemberg gehört zu den großen Biochemikern des Jahrhunderts. Seine Forschungen galten den fundamentalen Mechanismen des Lebens. Sie waren bestimmt von einem tiefen philosophischen und religiösen Denken, das nach Ursprung und Sinn des Lebens fragte. In seinem Testament sprach er davon, daß "die Verbindung von Wissen und Liebe ... der wichtigste Teil unserer Verpflichtung und der Sinn unseres Erdendaseins" sei. Er selbst bezeichnete sich als Chemiker, Biochemiker und Suchender. Dieses Suchen führte ihn schließlich auch vom Judentum weg zu einem aufrichtigen, glühenden Quäkertum.

Lemberg stammt aus einer jüdischen Familie, die einst aus Lemberg nach Breslau zugewandert war. Sein Vater Dr. Arthur Lemberg brachte es bis zum Justizrat. Rechtsgelehrte, Kaufleute aber auch Naturwissenschaftler waren in der Familie und der weiteren Verwandtschaft nicht selten. Eine in den Kreisen des liberalen jüdischen "Bildungsbürgertums" verbreitete Gleichgültigkeit gegen die jüdische Religion bei gleichzeitiger äußerlicher Zugehörigkeit zur israelitischen Religionsgemeinschaft galt auch für die Lembergs. Die Tendenz zur Assimilation fand Ausdruck in einer christlichen Erziehung. Während seines Kriegsdienstes in Frankreich konvertierte Lemberg zum lutherischen Glauben. Der Schulzeit am humanistischen Johannes-Gymnasium in Breslau verdankte er Charakterbildung und seine Liebe zur deutschen Volksdichtung, jedoch kaum eine tiefere naturwissenschaftliche Ausbildung. Seine Interessen für die Natur wurden durch einen Privatlehrer angeregt. Die entscheidende Prägung verdankte er jedoch der Jugendbewegung. In seiner Studienzeit kam er in Kontakt mit der Sozialen Arbeitsgemeinschaft, die sich die Betreuung der Slumquartiere im Osten Berlins zur Aufgabe gemacht hatte, und zur Freideutschen Jugendbewegung, die bedeutsamen Einfluß auf sein Leben gewann und ihn sogar in Zweifel über den Sinn einer wissenschaftlichen Karriere geraten ließ. Er spürte, daß von der Wissenschaft nicht die Antwort auf alle Probleme des Lebens erwartet werden konnte, sie konnte seinem Leben nicht die bestimmende Richtung oder den letzten Sinn geben; sie bedurfte einer Inbezugsetzung zu Religion und Philosophie. Der Geist der Jugendbewegung in der strikten Befolgung selbstgewählter Werte führte bei Lemberg schließlich zu einer Entwicklung weg vom deutschen Idealismus zu einem religiös und sozial motivierten Realismus.

Nach dem Abitur schrieb Lemberg sich an der Universität Breslau für Chemie, Physik, Mineralogie und Geologie ein. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete er sich als Freiwilliger für ein Artillerie-Regiment, wurde aus gesundheitlichen Gründen jedoch erst 1917 eingezogen. Bei der Somme-Offensive im März 1918 wurde er verwundet und mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet. Seine Kriegserfahrungen, insbesondere der die Menschenwürde unterdrückende militärische Drill, machten ihn zu einem überzeugten Pazifisten.

Nach seinen Breslauer Semestern studierte Lemberg 1915 und 1916 in München und Heidelberg, um nach dem Krieg wieder nach Breslau zurückzukehren. Eine spezifisch biochemische oder nur solide Ausbildung in Organischer Chemie hat Lemberg an von ihm besuchten Universitäten nicht erhalten können. Die grundlegenden Kenntnisse seines damals noch in den Anfängen stehenden Spezialfaches, der Biochemie, hat er sich weitgehend selbst angeeignet. Es ist so nicht verwunderlich, daß er zeitweilig einen Wechsel zur Geologie erwog. 1921 legte er seine bei Heinrich Biltz gefertigte Dissertation über Neue Abkömmlinge der Harnsäure-4.5-glykole vor, die zugleich einen Beitrag zur Kenntnis der reduzierenden Wirkung von Phosphortribromid darstellte. Nach der Promotion war Lemberg für zwei Jahre privater Assistent bei Biltz, mit dem er drei Aufsätze zur Wirkung der Harnsäure vorlegte, entschied sich dann aber gegen eine ungewisse akademische Karriere, die er nach der Inflation und Vermögenseinbußen des Vaters nicht mehr glaubte finanzieren zu können, zumal sich ihm wegen des verbreiteten Antisemitismus zusätzliche Barrieren entgegenstellten. So schien für ihn eine Zukunft in der chemischen Industrie das Gebotene zu sein. 1923 nahm Lemberg eine Stelle bei einer bedeutenden pharmazeutischen Firma in Mannheim an.

Doch dieser Lebensabschnitt, in den auch seine Heirat fiel, endete bald abrupt. In der allgemeinen Rezession, die Deutschland erfaßt hatte, wurde Lemberg als einer der jüngsten Angestellten der Firma entlassen. Mit Hilfe eines Stipendiums der Notgemeinschaft für die Deutsche Wissenschaft entschloß er sich zur Habilitation. Er ging 1925 zurück nach Heidelberg, wo inzwischen Karl Freudenberg, Professor der Organischen Chemie, das Chemische Institut leitete und es rasch zu einem der leistungsfähigsten in Deutschland ausbaute. Die moderne Chemie mit ihren biochemischen und physicochemischen Fragestellungen bestimmten die Arbeiten des Instituts.  So kam Lemberg hier erstmals mit seinem künftigen Arbeitsgebiet, dem Grenzbereich zwischen Chemie und Biologie in Berührung. Der intensive Austausch der Ideen und Forschungsergebnisse, etwa mit Karl Ziegler (dem späteren Nobelpreisträger), Kautsky, Hieber und Werner Kuhn, inspirierte auch Lemberg. 1930 habilitierte er sich mit einer Arbeit über die Chromoproteide der roten und blauen Algen, mit der er auch in die Kontroverse zwischen O. Warburg und H. Wieland über die Theorie der oxygenen bzw. hydrogenen Aktivierung der Cytochrome eingriff.

Da keine reguläre Assistentenstelle am Institut zu besetzen war, bewarb sich Lemberg auf Empfehlung Freudenbergs um eine Rockefeller Foundation Fellowship, die ihm für ein Jahr die Arbeit am Sir William Dunn Institute of Biochemistry unter Gowland Hopkins in Cambridge ermöglichte, wo er über Oocyan und Uteroverdin arbeitete. Nach seiner Rückkehr nach Heidelberg 1931 gelang ihm als Privatdozent und Assistent am Institut für Anorganische Chemie die synthetische Herstellung des Farbstoffs Biliverdin. Er galt damals als einer der wenigen Experten auf dem Gebiet der Gallen-Pigmente.

Der entscheidende Einschnitt in Lembergs Leben erfolgte durch die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten. Das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" setzte seiner akademischen Karriere in Deutschland ein abruptes Ende. Mit Hilfe seines Lehrers Freudenberg und anderer Heidelberger Kollegen gelang ihm die Flucht nach England, wo er als Fellow des Academic Assistance Council an sein altes Institut in Cambridge zurückkehren konnte, um seine Arbeiten im Hinblick auf eine Systematisierung der verschiedenen Gallenpigment-Klassen fortzuführen. Dieser zweite kurze Aufenthalt in Cambridge wurde für Lemberg wissenschaftlich wie persönlich außerordentlich wichtig. Hier wurde sein Interesse für die metabolischen und funktionalen Aspekte der Chemie geweckt und dadurch auch sein Wechsel von der organischen Chemie zur Biochemie vorbereitet. Die Freundschaft mit Quäkern sollte auch seine Weltanschauung nachhaltig beeinflussen. 1956 trat er der Religious Society of Friends bei.

Da für Lembergs altes Forschungsgebiet der Gallenpigmente in Cambridge kein großes Interesse bestand, entschloß er sich 1935 notgedrungen, das Angebot anzunehmen, als Direktor der biochemischen Laboratorien an das Royal North Shore Hospital in Sydney zu gehen. Für ihn bedeutete das nicht nur den Verlust der reichen Kulturtradition Europas, sondern in der australischen "Wildnis" auch das Ende seiner wissenschaftlichen Karriere in Kauf zu nehmen, arbeitete er hier doch in beinahe vollständiger Isolation. Mit selbst konstruierten Geräten gelang es ihm jedoch, hier seine Arbeiten über die Gallenpigmente, unterbrochen durch kriegsbedingte Forschungen zum Stoffwechsel, abschließend zusammenzufassen. 1949 erschien seine große Monographie Haematin compounds and pile pigments.

In der Folgezeit verbanden sich Lembergs wissenschaftliche Forschungen über die Grundlagen des Lebens und des menschlichen Bewußtseins immer stärker auch mit religiösen und philosophischen Fragen. Auf diesem Gebiet lag seine Wirkung weniger in eigenen originellen Beiträgen als in der kritischen Bewertung fremder Forschungen, die die entscheidenden zukunftweisenden Ansätze ebenso herauspräparierte wie ihre Irrwege und Fehldeutungen. Für Lemberg selbst ließ sich Leben nicht auf einen physico-chemischen Prozeß beschränken. Die Komplexität der Organisation des Lebens schien ihm darüber hinaus auf "mystische Elemente" einer präexistenten Organisation hinzudeuten. Gleichwohl lehnte er bloße Spekulationen über den Ursprung des Lebens als unwissenschaftlich ab. Naturwissenschaftliche Erkenntnis und philosophische Deutung bildeten für ihn bei der Erklärung dieser Phänomene eine notwendige Einheit. Seine James Backhouse Memorial Lecture im Jahre 1966 überschrieb er bezeichnenderweise mit "Seeking in an age of imbalance". Sein großes soziales Engagement galt besonders der Integration nichtarischer Flüchtlinge in Australien.

Eine Summe seiner Forschungsarbeit legte Lemberg noch einmal in seiner 1973 erschienenen zweiten großen Monographie The cytochromes vor, die einen umfassenden Forschungsbericht für die Jahre 1949 bis 1972 über die Chemie der Tetrapyrrole darstellt. Rudolf Lemberg genoß in der wissenschaftlichen Welt höchstes Ansehen. 1952 wurde er Fellow of the Royal Society, 1954 Gründungsmitglied der Australian Academy of Science. 1955 gründete er die Australian Biochemical Society, deren erster Präsident er wurde. Auch in Deutschland, wo die Mutter und viele Verwandte in Konzentrationslagern umkamen, wurden ihm akademische Ehren zuteil. Den ihm 1946 angebotenen Wiedereintritt in den Lehrkörper der Universität Heidelberg lehnte er ab, doch wurde ihm 1956 der Status eines emeritierten Professors der Universität Heidelberg zuerkannt. Dies und seine gleichzeitige Wahl zum korrespondierenden Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften faßte er auch als Akt der Wiedergutmachung auf.

Lit.: Max Rudolf Lemberg: Chemist, biochemist, and seeker in three countries. Ann. Rev. Biochem. 34 (1965), S. 1-20. -  Encounter with Rudi Lemberg. Privatdruck 1975. -  C. Rimington und C.H. Gray: Max Rudolf Lemberg. In: Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society. Vol. 22, London 1976, S. 257-294 (darin ein umfassendes Werkverzeichnis). -  Dorothee Mußgnug: Die vertriebenen Heidelberger Dozenten. Heidelberg 1988.

Bild: Universitätsarchiv Heidelberg.

                                                                                                                                        Udo Wennemuth

 

Quelle; " Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen"