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Sie haben es von Radio Prag
bereits erfahren: In der Nacht auf Samstag, den 26. März 2011, war das
Stichdatum für die Volkszählung in Tschechien. Eine der Angaben, nach
der traditionsgemäß gefragt wird, betrifft die Nationalität. Vor 20
Jahren kam es bei der ersten Volkszählung nach der Wende 1989 dabei zu
einer großen Überraschung: Rund 1,3 Millionen Menschen bezeichneten sich
als der „mährischen“ Nationalität angehörig und etwa 44.000 der
„schlesischen“ Nationalität. Doch weder die eine noch die andere hat es
in der Geschichte des Landes offiziell gegeben. Für Jitka Mládková
trotzdem ein Anlass, in einem Zweiteiler nach den Wurzeln der
„schlesischen“ Identität zu suchen, gemeinsam mit Dan Gawrecki,
Professor für Geschichte an der Schlesischen Universität in Opava /
Troppau.
Nach dem
Ersten Weltkrieg wurde 1918 ein Teil des historischen Schlesiens der
neu entstandenen Tschechoslowakei zugesprochen. Der Landstrich galt
bis 1928 offiziell als Land Schlesien mit dem Landessitz in der
Stadt Opava / Troppau. In den danach folgenden 20 Jahren wurde das
Gebiet in das neue Mährisch-schlesische Land mit dem
Verwaltungszentrum Brno / Brünn integriert. Danach verschwanden aber
der Name Schlesien sowie das Adjektiv „schlesisch“ für rund 60 Jahre
aus dem Wortschatz der offiziellen Staatsverwaltung. Das
„tschechische Schlesien“ wurde durch wiederholte Verwaltungsreformen
auf mehrere Regionen aufgeteilt. Das historische Gebiet, früher
Österreichisch-Schlesien genannt, löste sich wie ein Zuckerwürfel
auf. Erst seit dem Jahr 2000 gibt es den heutigen
Mährisch-schlesischen Kreis.
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Schlesischer Adler
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Das Gebiet Schlesiens kann
auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken. Eine Zeitlang gehörte es
auch zu den Böhmischen Ländern. Im Lauf der Zeit lebten verschiedene
Volksgruppen mit eigenen Sprachen auf schlesischem Gebiet. Doch die
Entwicklung habe sich nicht sehr viel anders vollzogen als die der
anderen Grenzregionen des heutigen Tschechiens wie zum Beispiel jene in
Nord- oder Westböhmen, befindet Professor Dan Gawrecki von der
Universität Opava:
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Dan Gawrecki (Foto:JaskółkaŚląska)
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Es geht um Regionen, die ursprünglich
tschechischsprachig beziehungsweise slawischsprachig waren. Später aber,
etwa im 11. und 12. Jahrhundert, kamen deutsche Kolonisten, und die
dortige Bevölkerung vermischte sich. Der deutschsprachige
Bevölkerungsteil setzte sich nach und nach immer mehr durch. Durch den
Dreißigjährigen Krieg verloren Böhmen und Mähren, die damals schon der
Habsburger Monarchie angehörten, fast die Hälfte der Bevölkerung. Viele
entvölkerte Dörfer in den Grenzgebieten wurden danach überwiegend von
der deutschsprachigen Bevölkerung neu besiedelt. In dieser Hinsicht sehe
ich also keine großen Unterschiede zwischen den einzelnen Grenzregionen
unseres Staates. Bestimmte Besonderheiten sind allerdings in der
Eingliederung in die bestehende Struktur der Landesverwaltung und des
Gerichtswesens zu erkennen.“ |
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Schlesien des heutigenTschechiens |
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Diese Besonderheiten seien ungefähr um die
Mitte des 18. Jahrhunderts zum Vorschein gekommen. Die Situation sei
damals aber wenig übersichtlich gewesen, ergänzt Gawrecki.
Bereits zuvor war Schlesien häufig Streitobjekt
zwischen den Nachbarstaaten. Die Teilungen Schlesiens waren meist das
Ergebnis heftiger, auch kriegerischer Auseinandersetzungen und führten
die Region mal unter die Herrschaft Polens, mal unter die Herrschaft
Böhmens. Im 18. Jahrhundert kamen dann neue starke Mächte hinzu.
Zwischen 1740 bis 1763 brachen die drei Schlesischen Kriege aus. Danach
musste Österreich den größten Teil Schlesiens an Preußen abtreten. Und
das weitere Schicksal von Österreichisch-Schlesien, also dem Rest? Es
wurde immer mehr und teilweise unlogisch mit Mähren verflochten:
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Schlacht bei
Fontenoy war eines der wichtigen Momente der
Schlesischen Kriege |
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Während der Schlesischen Kriege war
Österreichisch-Schlesien zunächst ein eigenständiges Gebiet. 1783 wurde
es Mähren angegliedert. Danach begann man wiederum damit, einige
mährische Enklaven in schlesische Bezirke einzufügen. Nach der
Revolution von 1848/49 galten diese Enklaven zwar als Teile politischer
Bezirke Schlesiens, doch administrativ gehörten sie zu Mähren. Ihre
Bevölkerung konnte Abgeordnete zum mährischen Landtag wählen,
Abgeordnete für den Wiener Reichsrat hingegen wurden von denselben
Menschen im Rahmen der schlesischen Wahlbezirke gewählt. Im Bereich des
Schulwesens lagen die Kompetenzen in Brünn und nicht wie anzunehmen wäre
in Troppau, der Landeshauptstadt von Österreichisch-Schlesien. Auch die
Steuern flossen in die mährische Landeskasse. Diese Situation stieß bei
vielen Bewohnern Schlesiens auf ziemlich viel Unmut und Unverständnis.“
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Österreichisch-Schlesien in 1880 |
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Auch nach Ende der
Schlesischen Kriege spielte die Frage der Nationalität keine besondere
Rolle für die dortige Bevölkerung. Im Gegenteil: Professor Gawrecki
zufolge stand man ihr gleichgültig gegenüber. Jeder Untertan, so der
Historiker, habe seine Zugehörigkeit vor allem mit dem jeweiligen
Landgut seines Herrn verbunden. Jeder Stadtbürger wiederum mit seiner
Stadt, so wie es auch im Mittelalter der Fall war. Eine Verbundenheit
habe man höchstens noch mit dem obersten Landesherrn, dem Kaiser, oder
mit den regionalen Würdenträgern der Kirchendiözese empfunden. Eine
schlesische Identität sei hingegen nicht bekannt gewesen. Es dauerte
noch etwas, bis sich das änderte: |
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Altehistorische
schlesische Tracht
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„Dazu kam es ungefähr erst um die Wende des
18. zum 19. Jahrhundert. Angehörige der Mittelschicht begannen sich
damals zunehmend als Schlesier zu empfinden, ohne über vollständige
politische Rechte zu verfügen. Sie hatten allerdings ein politisches
Motiv: Sie wollten dem Staatszentralismus die Stirn bieten, der schon
unter Maria Theresia und ihrem Sohn, Kaiser Josef II., aber auch
nachfolgend sehr stark war. Diese Menschen wollten ihre
Landeszugehörigkeit sichtbar machen. Damals wurde zum Beispiel das
Schlesische Landesmuseum in Troppau gegründet – übrigens das älteste
öffentliche Museum auf dem Gebiet der heutigen böhmischen Länder. 1804
wurde ein Theatergebäude gebaut. Diese Früchte des Landespatriotismus im
flächenmäßig kleinen Österreichisch-Schlesien lassen sich voll und ganz
mit Mähren, Böhmen oder zum Beispiel mit der Steiermark oder anderen
entsprechend entwickelten Ländern der damaligen Monarchie vergleichen.“
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Schlesisches Landesmuseum in Troppau |
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1880 war Troppau eine
blühende Stadt mit 20.000 Einwohnern und einer ausgeprägten
Infrastruktur. Die Stadt hatte ein eigenes Gemeindestatut, war Sitz der
Landesregierung und Landesvertretung, des Landesgerichts und vieler
kultureller und gesellschaftlicher Institutionen. Außerdem war sie auch
eine Garnisonstadt für 1300 Soldaten. Trotzdem behauptet Professor Dan
Gawrecki:
„Es hat sich auch damals keine Gruppe von
Schlesiern im Sinne einer eigenen Nationalität herausgebildet. Auch wenn
einige ältere Autoren behaupteten, dass es tausend Jahre lang ein
schlesisches Volk gegeben hätte. Das war nur ein Mythos. Seit der
Revolution 1848 tauchte für die Menschen eine Chance auf, vollwertige
Bürger zu werden. Zu diesen sind sie mit der Verfassung Anfang der
1860er Jahre in gewissem Sinne auch geworden. Doch die Chance, Schlesier
zu werden, wenn auch ohne die sprachliche Einheit, die damals eh nicht
möglich war, verschwand. In Schlesien begann man vielmehr damit, sich
als Tscheche, Pole oder Deutscher zu fühlen, und nur daneben auch als
Schlesier. Das Gefühl der nationalen Zugehörigkeit überdeckte die
territoriale Verbundenheit.
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Troppau am Endedes
19. Jahrhunderts
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Doch auf einem abgegrenzten
Gebiet Schlesiens sei um das Jahr 1848 dennoch eine Volksgruppe
entstanden, die sich im engeren Sinne als schlesisch empfunden habe,
sagt Gawrecki: und zwar auf dem Gebiet des Herzogtums Teschen / Těšín.
„Ihre Verkehrssprache war ein schlesischer
Dialekt und sie hatten keine Lust, sich entweder als Tschechen oder
Polen zu bezeichnen. Es waren Menschen, die sich innerlich mit ihrer
territorialen Eingliederung identifizierten und ebenso mit der deutschen
Kultur, die für sie Vorrang hatte. Dabei haben manche von ihnen nie
Deutsch sprechen gelernt. Aber sie fühlten sich als Schlesier. Seit
Beginn des 20. Jahrhunderts hatten sie auch eine eigene politische
Partei, die später vom Teschener Bürgermeister Josef Koždoň angeführt
wurde. Diese Menschen waren sehr enttäuscht nach dem Ersten Weltkrieg,
als die Stadt Teschen samt umliegender Region zwischen der
Tschechoslowakei und Polen aufgeteilt wurde.“
Etwas später wurde die Frage der Nationalität
gerade hier im östlichen Teil Schlesiens zum politischen Instrument.
Doch das gehört bereits in ein weiteres Kapitel aus der tschechischen
Geschichte zum Thema Schlesien und „schlesische“ Nationalität, das wir
bald aufschlagen wollen.
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Josef Koždoň in
1925
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Quelle: "
Historia Grónego
Sląska"
von Joachim Bahlcke, Dan
Gawrecki Ryszard Kaczmarek. |
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